Vergessen Sie die Eitelkeit von Filmstars oder von Nicolas Cage:
Es gibt kaum eine Berufsgruppe, die sich so um sich selbst dreht wie Journalisten.
In der Wartehalle von Berlin-Tegel: Richtung Filmfestspiele von Venedig tragen sie ihre Festival-Taschen der vergangenen Jahre wie ein Filmsternchen seine It-Bag: Seht her, ich fliege dorthin, wo andere ihren Jahresurlaub verbringen und bekomme auch noch Geld dafür!
Ich habe mich für die Cannes 2014-Tasche aus weißem Plastik entschieden: Vor unseren Vielfliegertrolleys drehen die Koffer der Honeymooner aus „Francoforto" ihre Runde. Das lässigste Land Europas kann sogar Hessen sexy klingen lassen!
Auf dem Wasserbus zum Lido lasse ich die Kamera schnell sinken: Venedig fotografieren - wie uncool. Kein Filmjournalist würde sich als begeistert über die Schönheit der Lagunenstadt outen. Man tippt geschäftig auf dem Tablet (Termine checken!) oder döst demonstrativ (wir verstehen die Müdigkeit der Topmodels!). Die magere Skyline von Venedigstadt haben wir schon schon hundert mal gesehen. Oder zumindest schon letztes Jahr zum 70..
Das Filmfestival von Venedig findet mitnichten in Venedig statt. Sondern auf dem Lido, der vorgesetzten schmalen Insel. Hier steht das Hotel Excelsior, das Herz der „mostra del cinema". Dem Geschäftssinn des einstigen Hoteliers verdanken wir das Festival (und damit sämtliche Filmfestivals, war dieses hier doch das allererste 1932): Lido war out und so lud er Stars zu einer Filmvorführung ein, die Presse folgte, der Rest ist Geschichte.
Die Journalisten wuseln umher und präsentieren ihre Akkreditierungskarten an Festivalbändern, die sie vermutlich auch nachts nicht ablegen. Es ist der Hosenbandorden der Abgrenzung: Wir sind keine Touristen! Der Nimbus geht allerdings verloren, wenn man im Café den Cappuccino am Tisch bestellt anstatt an der Bar, und sich dabei nicht nur um einen Euro extra bringt, sondern auch um seine Lässigkeit...
Als erfahrene Festivalgängerin fahre ich mit dem Fahrrad zum Festivalgelände, vorbei am zweiten imposanten Gebäude des Lido: Das Hotel Les Bains, in dem Visconti "Tod in Venedig" entstehen lies. Es steht leer. Ein Investor findet sich seit Jahren nicht. Der Italiener pflegt einen sehr unprätentiösen Umgang mit seinem kulturellen Erbe: Verfall wird als Teil des natürlichen Kreislaufs angesehen. Und es wird auch nicht als Sakrileg empfunden, in einem venezianischen Palazzo einen Selbstbedienungsimbiss unterzubringen. Die unabgeräumten Plastikteller türmen sich nur 4 Meter entfernt von Al Pacino, der für gleich zwei Premieren angereist ist: David Gordon Greens "Manglehorn" und Barry Levinsons „The Humbling". Er tänzelt unter dem Handygewitter der Passanten über den roten Teppich, die neuen Haare penibel verwuschelt.
Ulrich Tukur passiert meinen Weg und hebt zum Gruß seinen Strohhut. Er wohnt seit 14 Jahren hier. Die Rolle als Italiener steht ihm. Charlotte Gainsbourg treffe ich im Aufzug, sie trägt ein silber schillerndes Kleid, das aussieht wie eine Diskokugel, aus der die Luft entwichen ist. Sie kann es tragen und sieht sehr französisch aus.
Chiara Mastroianni, die brav der Einladung zum NRW-Empfang nachkam (das Bundesland finanzierte u.a. ihren im Wettbewerb laufenden Film „3 coeurs"), hat überraschenderweise Falten, dabei ist sie doch die Tochter von Catherine Deneuve! Auch Töchter werden älter. Nur Uli Seidl erscheint in seiner Entwicklung stehen geblieben: Mit kindlicher Freude und der Verklemmtheit eines alten Mannes zeigt er in seinem Pseudo-Dokumentarfilm "Im Keller" Sado-Maso mit echten Menschen, die zum Teil zwar schauspielern, aber doch irgendwie nur darstellen sollen, wie es ist. Also eigentlich wie RTL2 täglich nach 22 Uhr, aber hey: Wir sind ja auf einem Festival, da ist auch Voyeurismus Kunst. Im Interview outet er sich als derjenige mit den Vorurteilen und zieht seine ergraute Augenbraue mit Blick auf mein knallrotes Outfit ironisch hoch.
Wir alle spielen hier unsere Rolle: Der Künstler, die Journalistin, die Französin, der Schauspieler.
Und Venedig: Venedig ist die alte Diva, die sich ausruhen kann auf ihrer Glanzzeit, auch wenn die schon ein halbes Jahrhundert her ist.
Und dann: Fatih Akins „The Cut": Der Film ist ein Politikum. Er zeigt den bis heute bestrittenen Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren. Tatsächlich ist es ein romantischer Film über einen Vater, der seine Töchter sucht. Mit voller Wucht fährt Akin das Dolce Vita für 138 Minuten gegen die Wand. Internationales Geschniefe im Saal. Gefühle kennen keine Grenzen.
Danach trete ich ins helle Licht des Lido: Strandleben, italienische Familien spielen mit ihren Kindern in der Brandung. Venedig ist tot. Lang lebe Venedig.
Es gibt kaum eine Berufsgruppe, die sich so um sich selbst dreht wie Journalisten.
In der Wartehalle von Berlin-Tegel: Richtung Filmfestspiele von Venedig tragen sie ihre Festival-Taschen der vergangenen Jahre wie ein Filmsternchen seine It-Bag: Seht her, ich fliege dorthin, wo andere ihren Jahresurlaub verbringen und bekomme auch noch Geld dafür!
Ich habe mich für die Cannes 2014-Tasche aus weißem Plastik entschieden: Vor unseren Vielfliegertrolleys drehen die Koffer der Honeymooner aus „Francoforto" ihre Runde. Das lässigste Land Europas kann sogar Hessen sexy klingen lassen!
Auf dem Wasserbus zum Lido lasse ich die Kamera schnell sinken: Venedig fotografieren - wie uncool. Kein Filmjournalist würde sich als begeistert über die Schönheit der Lagunenstadt outen. Man tippt geschäftig auf dem Tablet (Termine checken!) oder döst demonstrativ (wir verstehen die Müdigkeit der Topmodels!). Die magere Skyline von Venedigstadt haben wir schon schon hundert mal gesehen. Oder zumindest schon letztes Jahr zum 70..
Das Filmfestival von Venedig findet mitnichten in Venedig statt. Sondern auf dem Lido, der vorgesetzten schmalen Insel. Hier steht das Hotel Excelsior, das Herz der „mostra del cinema". Dem Geschäftssinn des einstigen Hoteliers verdanken wir das Festival (und damit sämtliche Filmfestivals, war dieses hier doch das allererste 1932): Lido war out und so lud er Stars zu einer Filmvorführung ein, die Presse folgte, der Rest ist Geschichte.
Die Journalisten wuseln umher und präsentieren ihre Akkreditierungskarten an Festivalbändern, die sie vermutlich auch nachts nicht ablegen. Es ist der Hosenbandorden der Abgrenzung: Wir sind keine Touristen! Der Nimbus geht allerdings verloren, wenn man im Café den Cappuccino am Tisch bestellt anstatt an der Bar, und sich dabei nicht nur um einen Euro extra bringt, sondern auch um seine Lässigkeit...
Als erfahrene Festivalgängerin fahre ich mit dem Fahrrad zum Festivalgelände, vorbei am zweiten imposanten Gebäude des Lido: Das Hotel Les Bains, in dem Visconti "Tod in Venedig" entstehen lies. Es steht leer. Ein Investor findet sich seit Jahren nicht. Der Italiener pflegt einen sehr unprätentiösen Umgang mit seinem kulturellen Erbe: Verfall wird als Teil des natürlichen Kreislaufs angesehen. Und es wird auch nicht als Sakrileg empfunden, in einem venezianischen Palazzo einen Selbstbedienungsimbiss unterzubringen. Die unabgeräumten Plastikteller türmen sich nur 4 Meter entfernt von Al Pacino, der für gleich zwei Premieren angereist ist: David Gordon Greens "Manglehorn" und Barry Levinsons „The Humbling". Er tänzelt unter dem Handygewitter der Passanten über den roten Teppich, die neuen Haare penibel verwuschelt.
Ulrich Tukur passiert meinen Weg und hebt zum Gruß seinen Strohhut. Er wohnt seit 14 Jahren hier. Die Rolle als Italiener steht ihm. Charlotte Gainsbourg treffe ich im Aufzug, sie trägt ein silber schillerndes Kleid, das aussieht wie eine Diskokugel, aus der die Luft entwichen ist. Sie kann es tragen und sieht sehr französisch aus.
Chiara Mastroianni, die brav der Einladung zum NRW-Empfang nachkam (das Bundesland finanzierte u.a. ihren im Wettbewerb laufenden Film „3 coeurs"), hat überraschenderweise Falten, dabei ist sie doch die Tochter von Catherine Deneuve! Auch Töchter werden älter. Nur Uli Seidl erscheint in seiner Entwicklung stehen geblieben: Mit kindlicher Freude und der Verklemmtheit eines alten Mannes zeigt er in seinem Pseudo-Dokumentarfilm "Im Keller" Sado-Maso mit echten Menschen, die zum Teil zwar schauspielern, aber doch irgendwie nur darstellen sollen, wie es ist. Also eigentlich wie RTL2 täglich nach 22 Uhr, aber hey: Wir sind ja auf einem Festival, da ist auch Voyeurismus Kunst. Im Interview outet er sich als derjenige mit den Vorurteilen und zieht seine ergraute Augenbraue mit Blick auf mein knallrotes Outfit ironisch hoch.
Wir alle spielen hier unsere Rolle: Der Künstler, die Journalistin, die Französin, der Schauspieler.
Und Venedig: Venedig ist die alte Diva, die sich ausruhen kann auf ihrer Glanzzeit, auch wenn die schon ein halbes Jahrhundert her ist.
Und dann: Fatih Akins „The Cut": Der Film ist ein Politikum. Er zeigt den bis heute bestrittenen Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren. Tatsächlich ist es ein romantischer Film über einen Vater, der seine Töchter sucht. Mit voller Wucht fährt Akin das Dolce Vita für 138 Minuten gegen die Wand. Internationales Geschniefe im Saal. Gefühle kennen keine Grenzen.
Danach trete ich ins helle Licht des Lido: Strandleben, italienische Familien spielen mit ihren Kindern in der Brandung. Venedig ist tot. Lang lebe Venedig.