Das Internet schien lange Zeit eine politische Wunderwaffe zu sein. Revolution in der arabischen Welt, das Aufbegehren im Iran und Occupy im Westen waren wohl ohne Twitter und Facebook kaum in dieser Intensität möglich. Schon mehrten sich besorgte Stimmen, die dem Internet eine geradezu aufpeitschende und zersetzende Wirkung auf die Gesellschaft unterstellten.
Jürgen Habermas ortete gar „Millionen von weltweit zerstreuten Chatroms", in der die Gesellschaften nun zerfallen würden. Das Ende der Politik, so wie wir sie kennen, war angebrochen: Man schien sich insgeheim wieder daran zu erinnern, dass der politische „Quietismus" - also die Zurückhaltung bei der politischen Meinungsäußerung - durchaus eine Praxis ist, die auch ihre Vorzüge hat (Stabilität, einfache Durchsetzung von problematischen Themen ...).
Und nun dies: Forscher der Rutgers Universität und des amerikanischen PEW Instituts haben herausgefunden, dass Benutzer sozialer Medien davor zurückschrecken, kontroversielle Themen anzusprechen, wenn sie befürchten, dass ihre Zuhörer vielleicht anderer Meinung sind. Die Verwendung von Twitter und Co, so die Autoren der Studie, führen also eher zu einer Selbstzensur als zur politischen Meinungsvielfalt.
Während 86% der Befragten der Meinung waren, dass sie über politisch sensible Themen, wie die Snowden-Aufdeckungen, in einem herkömmlichen Rahmen und von Angesicht zu Angesicht reden würden, waren nur 42% bereit, dies über soziale Medien zu tun. Schlimmer noch: Facebook-User waren zudem nur halb so oft bereit, ihre Meinung im herkömmlichen Rahmen zu äußern, als andere. Konsequenterweise scheinen die Benutzer Sozialer Medien die Möglichkeit zu bevorzugen, ihre Netzwerke so aufzubauen, dass sie sichergehen können, unter Gleichgesinnten zu sein.
Diskussion und Meinungsvielfalt kommt so gar nicht mehr auf. Durch die Selektion der Informationsquellen können sich die Social Media-Nutzer zudem ihre Quellen so konfigurieren, wie es ihren politischen Präferenzen entspricht.
Diese Auswahl von genehmen Informationsquellen funktioniert in Netz ja einfacher als zu Zeiten, in der alle nur dieselben 2-3 Informationsquellen nutzen konnten. Die Algorithmen der Sozialen Medien verstärken diese Tendenz sogar noch, indem etwa bei Twitter ähnliche Profile vorgeschlagen werden, denen man folgen sollte. In der Zukunft wird Twitter diese „Selbstreferentialität" sogar noch erweitern, indem nun auch Tweets von Leuten angezeigt werden, die von Gleichgesinnten favorisiert werden.
Wenn bei dieser Studie auch viele Fragen offen bleiben und manche Interpretationen fraglich sind, ergeben sich doch einige Rückschlüsse.
Die Verwendung Soziale Medien scheint also nicht automatisch zu einer breiteren politischen Öffentlichkeit zu führen: Zurückhaltende Individuen werden auch im Internet zurückhaltend sein. Die Angst vor fremden und anonymen Angriffen, Diffamierungen und auch die diffuse Befürchtung, in irgendein Metadaten-Raster zu fallen, scheinen hier maßgeblich zu sein.
Auch die Mechanismen, die immer Gleichgesinnte zusammenbringen, führen nicht dazu, neue Standpunkte kennenzulernen und zu differenzierten Analysen und Meinungen zu gelangen. Paradoxerweise wurde aber genau diese Heterogenität bzw. die Nutzbarmachung dieser Unterschiede zur Lösung von Problemen, als eine der wichtigsten Effekte der Kollaboration im Netz betrachtet (Open Innovation-Prozesse), bei der abertausende von Kreativen, ihre Ideen in einem Lösungswettbewerb einfließen lassen.
Was kann gegen diese Selbstzensur und politische Einsilbigkeit getan werden? Die Sozialen Medien könnten etwa Diversität unterstützen, indem sie „disruptive" Algorithmen einbringen, die darauf ausgerichtet sind, möglichst kontroversielle Standpunkte und Profile einzubinden, anstatt immer nur Ähnliches zu wiederholen. Wäre aber diese Herstellung von Vielfalt nicht aber auch eine interessante „Geschäftsidee" für die von den Sozialen Medien geplagten traditionellen Medien?
Anstatt „Meinung" und stärkere „politische Profile" zu propagieren und damit nur allzu oft an den Meinungen der „Masse" vorbeizugehen bzw. keine Möglichkeit zu Gegenmeinung zu bieten (wir erinnern uns an die prägnanten Meinungsvorgaben und Urteile der Medien etwa zu Gerhard Schröder und Christian Wulff), könnte man doch unterschiedliche Standpunkte in den Medien unterbringen und reflektieren, ohne dass man diese durch nervige Kommentare vorkauen muss: Die zentrale Erkenntnis der antiken Athener Demokratie, dass jeder Mensch zu einem politischem Urteil fähig ist, sollte im Vordergrund stehen.
Im Jahre 2014 ist wohl jeder in der Lage, sich seine eigene Meinung zu bilden. Und dies ist in einer Demokratie auch notwendig: „Sobald Meinungen zu bloßen Meinungen degenerieren, fehlt auch die Aufforderung zur Stellungnahme." (Habermas). Hier könnten die traditionellen Medien, die auch alle im Netz unterwegs sind, einen Beitrag leisten und etwa ihre bisherigen virtuellen Diskussionsforen (heute eher sequentielle Kommentarfenster) erweitern und ausbauen und so den Diskurs stärker zu ihrer Sache machen.
Bleibt bei all diesen Punkten auch noch die Frage, ob man bedenkenlos an einer solchen politischen Deliberation teilnehmen kann. Scheinbar hat fast alle Länder die Datensammelwut gepackt und die Konsequenzen dieses Verhaltens auf die politische Kultur sind deshalb noch gar nicht absehbar.
Vielleicht müssen wir aber bei der zentralen Forderung nach Datensicherheit und der Zurückhaltung der Sammelwut (die ja paradoxerweise vor allem bei demokratischen Regierungen auffällt), einfach auch etwas Geduld mitbringen: Die Sicherung der Eigentumsrechte an physischen Gütern hat sich über Jahrtausende entwickeln können, die Sicherheit unserer digitalen Inhalte steht erst seit einigen wenigen Jahren zur Diskussion. Zeit ist aber trotzdem nicht zu verlieren.
Jürgen Habermas ortete gar „Millionen von weltweit zerstreuten Chatroms", in der die Gesellschaften nun zerfallen würden. Das Ende der Politik, so wie wir sie kennen, war angebrochen: Man schien sich insgeheim wieder daran zu erinnern, dass der politische „Quietismus" - also die Zurückhaltung bei der politischen Meinungsäußerung - durchaus eine Praxis ist, die auch ihre Vorzüge hat (Stabilität, einfache Durchsetzung von problematischen Themen ...).
Und nun dies: Forscher der Rutgers Universität und des amerikanischen PEW Instituts haben herausgefunden, dass Benutzer sozialer Medien davor zurückschrecken, kontroversielle Themen anzusprechen, wenn sie befürchten, dass ihre Zuhörer vielleicht anderer Meinung sind. Die Verwendung von Twitter und Co, so die Autoren der Studie, führen also eher zu einer Selbstzensur als zur politischen Meinungsvielfalt.
Während 86% der Befragten der Meinung waren, dass sie über politisch sensible Themen, wie die Snowden-Aufdeckungen, in einem herkömmlichen Rahmen und von Angesicht zu Angesicht reden würden, waren nur 42% bereit, dies über soziale Medien zu tun. Schlimmer noch: Facebook-User waren zudem nur halb so oft bereit, ihre Meinung im herkömmlichen Rahmen zu äußern, als andere. Konsequenterweise scheinen die Benutzer Sozialer Medien die Möglichkeit zu bevorzugen, ihre Netzwerke so aufzubauen, dass sie sichergehen können, unter Gleichgesinnten zu sein.
Diskussion und Meinungsvielfalt kommt so gar nicht mehr auf. Durch die Selektion der Informationsquellen können sich die Social Media-Nutzer zudem ihre Quellen so konfigurieren, wie es ihren politischen Präferenzen entspricht.
Diese Auswahl von genehmen Informationsquellen funktioniert in Netz ja einfacher als zu Zeiten, in der alle nur dieselben 2-3 Informationsquellen nutzen konnten. Die Algorithmen der Sozialen Medien verstärken diese Tendenz sogar noch, indem etwa bei Twitter ähnliche Profile vorgeschlagen werden, denen man folgen sollte. In der Zukunft wird Twitter diese „Selbstreferentialität" sogar noch erweitern, indem nun auch Tweets von Leuten angezeigt werden, die von Gleichgesinnten favorisiert werden.
Wenn bei dieser Studie auch viele Fragen offen bleiben und manche Interpretationen fraglich sind, ergeben sich doch einige Rückschlüsse.
Die Verwendung Soziale Medien scheint also nicht automatisch zu einer breiteren politischen Öffentlichkeit zu führen: Zurückhaltende Individuen werden auch im Internet zurückhaltend sein. Die Angst vor fremden und anonymen Angriffen, Diffamierungen und auch die diffuse Befürchtung, in irgendein Metadaten-Raster zu fallen, scheinen hier maßgeblich zu sein.
Auch die Mechanismen, die immer Gleichgesinnte zusammenbringen, führen nicht dazu, neue Standpunkte kennenzulernen und zu differenzierten Analysen und Meinungen zu gelangen. Paradoxerweise wurde aber genau diese Heterogenität bzw. die Nutzbarmachung dieser Unterschiede zur Lösung von Problemen, als eine der wichtigsten Effekte der Kollaboration im Netz betrachtet (Open Innovation-Prozesse), bei der abertausende von Kreativen, ihre Ideen in einem Lösungswettbewerb einfließen lassen.
Was kann gegen diese Selbstzensur und politische Einsilbigkeit getan werden? Die Sozialen Medien könnten etwa Diversität unterstützen, indem sie „disruptive" Algorithmen einbringen, die darauf ausgerichtet sind, möglichst kontroversielle Standpunkte und Profile einzubinden, anstatt immer nur Ähnliches zu wiederholen. Wäre aber diese Herstellung von Vielfalt nicht aber auch eine interessante „Geschäftsidee" für die von den Sozialen Medien geplagten traditionellen Medien?
Anstatt „Meinung" und stärkere „politische Profile" zu propagieren und damit nur allzu oft an den Meinungen der „Masse" vorbeizugehen bzw. keine Möglichkeit zu Gegenmeinung zu bieten (wir erinnern uns an die prägnanten Meinungsvorgaben und Urteile der Medien etwa zu Gerhard Schröder und Christian Wulff), könnte man doch unterschiedliche Standpunkte in den Medien unterbringen und reflektieren, ohne dass man diese durch nervige Kommentare vorkauen muss: Die zentrale Erkenntnis der antiken Athener Demokratie, dass jeder Mensch zu einem politischem Urteil fähig ist, sollte im Vordergrund stehen.
Im Jahre 2014 ist wohl jeder in der Lage, sich seine eigene Meinung zu bilden. Und dies ist in einer Demokratie auch notwendig: „Sobald Meinungen zu bloßen Meinungen degenerieren, fehlt auch die Aufforderung zur Stellungnahme." (Habermas). Hier könnten die traditionellen Medien, die auch alle im Netz unterwegs sind, einen Beitrag leisten und etwa ihre bisherigen virtuellen Diskussionsforen (heute eher sequentielle Kommentarfenster) erweitern und ausbauen und so den Diskurs stärker zu ihrer Sache machen.
Bleibt bei all diesen Punkten auch noch die Frage, ob man bedenkenlos an einer solchen politischen Deliberation teilnehmen kann. Scheinbar hat fast alle Länder die Datensammelwut gepackt und die Konsequenzen dieses Verhaltens auf die politische Kultur sind deshalb noch gar nicht absehbar.
Vielleicht müssen wir aber bei der zentralen Forderung nach Datensicherheit und der Zurückhaltung der Sammelwut (die ja paradoxerweise vor allem bei demokratischen Regierungen auffällt), einfach auch etwas Geduld mitbringen: Die Sicherung der Eigentumsrechte an physischen Gütern hat sich über Jahrtausende entwickeln können, die Sicherheit unserer digitalen Inhalte steht erst seit einigen wenigen Jahren zur Diskussion. Zeit ist aber trotzdem nicht zu verlieren.