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Stoppt den deutschen Reflex-Pazifismus: Wann wir Krieg führen müssen

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Es war am Montagmorgen um kurz nach acht, als man zum ersten Mal in dieser Woche wieder einem deutschen Politiker dabei zuhören konnte, wie er in Sachen Krieg mit peinlicher Not um den heißen Brei herum redet.

Cem Özdemir war im ARD-Morgenmagazin zu Gast und lobte das Engagement der Amerikaner im Irak: „ISIS muss gestoppt werden – dort wie bei uns“, sagte der Bundesvorsitzende der Grünen.

Die Moderatorin fragte angesichts von Zehntausenden jesidischer Flüchtlinge nach: „Was würden sie jetzt tun?“ Özdemir eierte herum: „Sicher keine Besserwisserei gegenüber den Amerikanern. Die Amerikaner machen jetzt das Richtige.“ Außerdem: „Die Peschmerga haben die Jesiden ja auch nicht mit der Yoga-Matte unterm Arm befreit, sondern mit Waffen.“

Und Deutschland? Dürfe eben keine Waffen in Kriegsgebiete exportieren, sagte Özdemir. Da haben die Jesiden bei so viel Rechtschaffenheit wohl Pech gehabt. Von einer militärischen Unterstützung der Amerikaner (die ja angeblich das Richtige machen) sprach Özdemir erst gar nicht.

Zynismus kann manchmal allzu friedlich daherkommen

Stattdessen wieder das alte Bekenntnis zur Stärke der deutschen Außenpolitik. Als ob es bisher auch nur ansatzweise die Möglichkeit gegeben hätte, mit den radikalen Islamisten des ISIS (korrekt wäre wohl mittlerweile: „Islamischer Staat“, oder „IS“) zu verhandeln. Zynismus kann manchmal allzu friedlich daher kommen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Amerika hat mindestens einen Krieg zu viel geführt. Nämlich den im Irak. Und dass Deutschland mittlerweile der Anwendung von Waffengewalt skeptisch gegenüber steht, ist ein Glücksfall. Nicht nur für dieses Land, auch für die Staatengemeinschaft. In ihren besten Momenten agiert die Bundesrepublik als Korrektiv zu jenen Ländern, die allzu schnell nach Interventionen rufen.

Doch die Gewaltskepsis hat Grenzen. Vor allem dann, wenn sie in einen allzu bequemen Alibi-Pazifismus umschlägt. Und genau den haben sich viele Deutsche mittlerweile zu Eigen gemacht.

Außenpolitisches Spießertum

Die Basis dafür ist das außenpolitische Spießertum, das sich in der Bundesrepublik breit gemacht hat. Wir sind stolze Reiseweltmeister, interessieren uns aber kaum dafür, was außerhalb unseres bundesdeutschen Vorgartens stattfindet.

Die Ukraine? War für viele Deutsche bis zum Spätwinter dieses Jahres ein bitterarmer Matchboxstaat, der irgendwie an Russland grenzt. Und Gaza? Da sind einige mal drüber hinweg geflogen.

Die Konflikte, die sich im Irak, der Ukraine und Israel abspielen, sind hochkomplex. Sie haben teilweise eine mehrere Hundert Jahre alte Vorgeschichte. Oft lässt sich nicht zwischen „Gut“ und „Böse“ trennen. Es bräuchte Verständnis für die konkrete Situation und Wissen um die politischen Begleitumstände. Doch wo Differenziertheit gefragt wäre, rufen Millionen Deutsche reflexhaft „Nie wieder Krieg!“ und fühlen sich damit auf der sicheren Seite. Nach dem Motto: „Selbst nicht geschossen. Thema abgehakt.“

Auch Unterlassung kann Menschenleben kosten

Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn Unterlassung kann Menschenleben kosten. Das ist eine Lehre aus den 90er-Jahren, als in Ruanda unter den Augen der Weltöffentlichkeit ein Völkermord stattfand, bei dem 800.000 Menschen umgebracht wurden.

Eine Militärintervention hätte das Jahrhundertverbrechen eindämmen und Hunderttausende Leben retten können. Doch die internationale Staatengemeinschaft war zuerst ratlos und konnte sich später nicht einigen. Ein Trauerspiel, das eigentlich Mahnung sein sollte.

Auch im Bosnienkrieg musste erst der Massenmord an über 8.000 Menschen in Srebrenica geschehen (700 Kilometer von München entfernt), bevor der Westen eingriff. Damals waren es übrigens ebenfalls die Amerikaner, die den hilf- und tatenlosen Europäern beisprangen.

Schon wieder müssen die Amerikaner helfen

So ist es heute auch in Kurdistan. Während die eine Seite mit apokalyptischer Lust darüber lamentiert, dass militärische Interventionen im Nahen Osten noch nie zur Verbesserung der Lage beigetragen hätten und die andere Seite sich von den bösen Mainstreammedien mal wieder hinter die Fichte gelockt fühlt, sitzen in den Bergen des Nordiraks Zehntausende Menschen in der Falle.

Die Jesiden sind eine muslimische Glaubensgemeinschaft, die ethnisch zum Volk der Kurden gehört. Viele lebten außerhalb der Autonomen Region Kurdistan und mussten vor dem Vormarsch der IS-Kämpfer in die Berge des Nordirak fliehen. Gehen sie zurück in ihre Dörfer, droht ihnen die Exekution. Etwa 500 Jesiden soll der IS schon umgebracht haben.

Bleiben sie in den Bergen, droht ihnen der Hungertod.

Es braucht Hilfe von außerhalb

Weder die irakische Luftwaffe noch die kurdischen Peschmerga sind allein in der Lage, die Situation zu lösen. Es braucht also Hilfe von außerhalb.

Warum also diskutieren wir nicht ehrlich darüber, was machbar ist und was nicht? Um Cem Özdemir mal Handlungsalternativen aufzuzeigen: Deutsche Kampfjets könnten auch von Stützpunkten des Nato-Partners Türkei starten, Aufklärer die Truppenbewegungen der IS beobachten. Technisch wäre Deutschland in der Lage, in Absprache mit der kurdischen Regionalverwaltung und der irakischen Zentralregierung die Leben von Tausenden Jesiden zu schützen.

Allein es fehlt der Wille. Das ist die brutale Seite des deutschen Pazifismus.

Video: Weltenbrand?
Diese Konflikte bedrohen den Weltfrieden







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