
Er gilt als einflussreichster Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. 1998 gründete er das „Zukunftsinstitut" und berät heute zahlreiche Unternehmen und Institutionen. Tahir Chaudhry sprach mit Mathias Horx über Optimismus, Angst als Herrschaftsinstrument, die Funktionalisierung des Klimawandels, Überbevölkerung und eine Zukunft der Kriege.
Chaudhry: Sie sind Zukunftsforscher. Kann man sagen, dass Historiker in der Vergangenheit forschen und Sie in der Zukunft?
Horx: Nein, ich forsche in der Gegenwart, aber natürlich braucht man dafür auch viel historisches Wissen. Eigentlich kann man „die Zukunft" gar nicht erforschen, sie ist lediglich eine Projektion in unserem Kopf. Man kann aber Prozesse, Systeme und Wandlungsprozesse erforschen. Man kann die Welt durch den Blick nach vorn besser verstehen.
Chaudhry: Sind Sie im Hinblick auf unsere Zukunft optimistisch oder eher pessimistisch?
Horx: Ich stehe für einen „unbequemen Optimismus" - so hat es die Politologin Sandra Richter genannt. Pessimismus ist in unserer Kultur eine billige Ausrede geworden. Natürlich geschieht viel Schreckliches in der Welt, aber darauf mit dem üblichen „Wir-haben-es-ja-immer-gesagt" zu reagieren, halte ich für feige und verantwortungslos. Verantwortlicher Optimismus hat nichts mit „think positive" zu tun, sondern mit hartem, diszipliniertem Denken, das sich an Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten orientiert. Letztlich geht es um eine Grundempathie, die man für die Welt empfindet. Ich nenne das auch „Großmutter-Optimismus", nach meiner Großmutter Hildegard - in meinem letzten Buch „Zukunft wagen" wird das näher erklärt.
Chaudhry: Das letzte Weltuntergangszenario 2012 ist nicht eingetreten. Denken Sie, dass die Welt wirklich irgendwann untergehen wird?
Horx: Mit unserem Tod für jeden Einzelnen von uns. Immer wieder auch durch große Katastrophen, großes Leid. Aber in vielen dieser Brüche steckt ein Neuanfang. Als die Welt für die Dinosaurier unterging, begann sie für die Säugetiere. Als Rom unterging, kam es zu einer dezentralen Entwicklung in Europa, die schließlich zu den Stadtstaaten der Renaissance führte. Als das Deutsche Reich unterging, begann für die Deutschen die beste Phase ihrer Geschichte. AIDS schien vor zwanzig Jahren noch zu einer Weltkatastrophe mit schrecklicher Ausgrenzung zu führen, heute scheint es so, dass die Toleranz gerade durch diese Krise gestiegen ist. Allerdings ist die Vorstellung des Untergangs eine kulturelle Konstante, mit der man sehr gut Herrschaft ausüben kann. Alle Unterdrückungsideologien haben einen apokalyptischen Kern. Und wenn wir uns nur noch von Ängsten leiten lassen, dann werden wir tatsächlich untergehen. Die größte Gefahr für die Zukunft ist die kollektive Hysterie.
Chaudhry: Sie sind ein Kritiker der verbreiteten Klimavisionen, die Ihrer Meinung nach zum Zwecke der Angstmache funktionalisiert werden. Wie kommen Sie zu dieser These?
Horx: Ich bin ein Kritiker der Funktionalisierung des Klimawandels zur Angstmacherei, zur Drohgebärde. Das Klima verändert sich aus den bekannten Gründen. Aber erstens ist das nicht immer und überall schlecht - auch ohne den Menschen hat sich das Klima drastisch verändert. Und zweitens werden wir es schaffen, unsere Produktionsweisen mittelfristig zu dekarbonisieren. Schon allein, weil die fossilen Energien demnächst richtig teuer werden, und wir eine schnelle technische Innovation bei den erneuerbaren Energien erleben. Und auch, weil es eine Menge vernünftiger Unternehmen und Politiker gibt, die sich heute dieses Problems annehmen. Obwohl in allen Zeitungen das Gegenteil steht. Amerika reagiert jetzt auf die Klimaproblematik. Selbst China wird in nächster Zeit seinen CO2-Ausstieg zurückfahren. Wir sitzen hierzulande auf einem sehr hohen grünen Ross und zeigen immer mit dem Finger auf die anderen.
Chaudhry: Aber muss man nicht ein Problem überspitzt darstellen, damit man Menschen aufrüttelt?
Horx: Die Leute sind doch inzwischen komplett durch- statt aufgerüttelt! Ich habe nicht den Eindruck, dass Übertreibung zur Verbesserung beiträgt. Im Gegenteil: sie führt zu Fehlurteilen, Zynismus, Gleichgültigkeit, ewiger Bestätigung von Klischees - oder noch Schlimmerem. Die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft hängt ja davon ab, ob man sich auf einige essentielle Dinge, Ziele, Vorhaben einigen kann. Dazu braucht man ein einigermaßen realistisches Verständnis der Welt. Hysterien zerstören diesen Zukunftsdiskurs. Wenn man ständig behauptet, die Kriminalität würde steigen, kann man damit Ausländerfeindlichkeit begründen. Und die ständig polemisierte „Verarmung der Mittelschicht" untergräbt das gesellschaftliche Vertrauen. Zur Zukunftsfähigkeit gehört es, VERBESSERUNGEN wahrzunehmen - und davon gibt es eine ganze Menge.
Chaudhry: Ist für Sie Umweltschutz zu einer Art Ersatzreligion geworden? Wo sehen Sie Parallelen?
Horx: Nicht der Umweltschutz ist eine Ersatzreligion, sondern jene fromme Öko-Welthaltung, die vor allem auf Schuldgefühlen und reduktionistischen Weltbildern basiert. Dabei spielt zum Beispiel die romantische Verherrlichung der Natur eine Rolle, die an Stelle Gottes tritt und „den Menschen straft" oder die „wahren Gesetze" erlässt und „immer weise" ist. Natur ist aber weder weise noch gut. Dagegen vertrete ich einen Ansatz der rationalen Ökologie, in der wir vernünftige, komplett recycelbare Produkte und adaptive, intelligente Technologien einsetzen, plus neue Nutzungsformen, Stichwort „Shareconomy". Ich glaube an die Gestaltungsfähigkeit des Menschen, aber ich glaube NICHT an eine Ökologie des Mangels, in der wir alle die Luft anhalten und uns in Sack und Asche kleiden müssen. Ich bin Vertreter der „Cradle-to-Cradle"- Denkweise und gehe lieber zu TED-Konferenzen, bei denen über Lösungen für globale Probleme nachgedacht wird, als mir das ewige Jammern und Klagen anzuhören, das in unserer medialen Wirklichkeit vorherrscht.
Chaudhry: Sind die eintretenden Katastrophen kein Indikator für einen falschen Umgang mit der Natur?
Horx: Wenn Sie Starkwetterereignisse meinen: eher nein. Wir haben als Menschen aber die Angewohnheit, alles, was wir nicht kontrollieren können, auf die Rache der Götter oder eine Verschwörung finsterer Mächte zurückzuführen. Früher war ein Hagelgewitter Teufelswerk, heute ist es Produkt der Erderwärmung. Ich bin mir sicher, demnächst wird man auch Erdbeben mit bösen kapitalistischen Manipulationen begründen.
Chaudhry: Verharmlosen Sie nicht doch vielleicht die Gefahren und fördern damit einen unverantwortlichen Umgang mit der Natur?
Horx: Das überlasse ich demütig Ihrem Urteil.
Chaudhry: "Die Welt wird von mehr Menschen bewohnt, als sie in der Lage ist, zu ernähren." Das ist verbreitete Meinung in unserer Gesellschaft. Was halten Sie von diesem Standpunkt?
Horx: Das ist Quatsch, ein altes Welt-Modell, das auf den presbyterianischen Pfarrer Malthus zurückgeht, der schon vor über zweihundert Jahren die These von der „Übervölkerung" aufgestellt hat. So ein Weltmodell hält sich leider hartnäckig in unseren Köpfen, und es hat immer auch einen rassistischen Unterton. Aber wir wissen heute längst, dass die Weltbevölkerung sich selbst reguliert - durch Wohlstand. Wenn die Menschen aus dem Gröbsten raus sind, sinkt automatisch die Kinderzahl, und zwar rapide. Die Weltgeburtenrate liegt heute bei 2,4 Kinder pro gebärfähiger Frau, und sie sinkt rasch weiter. Um 2060 werden wir den vorläufigen Zenit der Erdbevölkerung erreichen, bei UNTER 10 Milliarden Menschen. Heute schon produzieren wir genug Lebensmittel für den „Human Peak", wir lassen aber fast die Hälfte davon verkommen. Zwei Drittel der Deutschen und ein Drittel der Weltbevölkerung sind übergewichtig. Allerdings wäre es weise, wenn wir unseren Fleischkonsum reduzieren würden. Das wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten passieren, es zeichnet sich ab.
Chaudhry: Zurzeit wird Europa von einem demographischen Wandel geplagt. Welche Trends in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung sehen Sie für die nächsten Jahre?
Horx: Wieso ist Wandel eine Plage? Wir erweitern unsere Lebensspanne, das ist ein Triumph gelungenen Wohlstandes. Wir werden in Europa etwas weniger Menschen, und das ist für einen sehr dicht besiedelten Kontinent eine gute Nachricht. In den Ländern, die die Frauen auch in die oberen Etagen der Wirtschaft integrieren, steigt die Geburtenrate wieder. Wir müssen diesen Prozess nur gescheit moderieren. Einerseits durch Zuzug, andererseits durch neue Generationskontrakte, eine Alters- und Arbeitskultur, in der wir mit dem Mehr an vitaler Lebenszeit geschickt umgehen.
Chaudhry: Auch auf ökonomischer Ebene sieht es in Europa eher düster aus. Zweifel am Euro kommen auf. Wird die Idee eines einheitlichen Europas scheitern?
Horx: Sieht es wirklich nur düster aus? Oder sind unsere Ansprüche inzwischen so hoch, dass wir ein Art Füllhorn-Europa erwarten, in dem es nie Probleme geben darf? Die südlichen Länder, die heute eine hohe Arbeitslosigkeit haben, werden in zehn Jahren glücklich sein, dass sie ihre inneren Reformen machen mussten und sich dadurch modernisierten. Viele Griechen, Spanier, Portugiesen denken heute schon so. Es ist ein heilsamer Zwang, den Europa uns allen auferlegt. Komplexer zu denken und zu handeln. Was sagte Kennedy über die Mondfahrt? „Wir haben das nicht beschlossen, weil es einfach ist. Sondern weil es schwer ist!"
Chaudhry: Seit einigen Jahren sehen wir eine erneute Blockbildung in der Welt und sich entflammende Stellvertreterkriege. Immer wieder kommt es zu Provokationen und Ausgrenzungen. Ist die Sorge vereinzelter Beobachter um einen neuen Weltkrieg berechtigt oder wird sich die Lage wieder beruhigen?
Horx: Auch ich fürchte, dass es demnächst wieder Kriege in den alten nationalistischen Formen geben wird. Weniger in Europa, eher in Asien, wo mächtige, neu geformte Nationalstaaten aufeinanderprallen. Im Gegensatz zum 20. Jahrhundert haben solche Staatskriege aber keine Siegesoption mehr. Kein einziger hochtechnischer Krieg wurde jemals gewonnen, und wenn, dann hat er den Sieger ruiniert. Ein Trost ist, dass solche sinnlosen Kriege am Ende zu neuen Friedensperioden und höherer Integration der betroffenen Regionen führen. Und eine Hoffnung ist, dass diese eher auf regionale „Events" beschränkt bleiben. Daneben wird es immer wieder um asymmetrische Gewalt gehen, Terror in den verschiedensten Formen, bis hin zum Cyber-Bandenkrieg. Damit müssen wir leben. Immerhin ist die Zahl der weltweiten Gewaltopfer heute geringer als jemals zuvor in der Geschichte. Wir SEHEN die Gewalt nur viel deutlicher, weil überall eine Kamera ist, die sie aufzeichnet!
Chaudhry: Der Bürgerrechtler Malcolm X sagte einst: "Die Zukunft gehört den Leuten, die sich heute auf sie vorbereiten." Wie können wir uns Ihrer Meinung nach am Besten auf unsere Zukunft vorbereiten?
Horx: Indem wir neu denken lernen - in Zusammenhängen, Netzwerken, Prozessen, Synergien, Kooperationen - und indem wir die Wirklichkeit neu sehen lernen und dieses verrückte Mediensystem überwinden, wo es zunehmend nur um Erregung und Übertreibung geht.
Chaudhry: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Horx!
Matthias Horx: "Zukunft wagen. Über den klugen Umgang mit dem Unvorhersehbaren"
DVA, 320 Seiten, 2014, 22.99 Euro
ISBN: 978-3-421-04444-0
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