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Cannes Lions - Bits statt Brüllen?

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In diesen Tagen ist es wieder soweit: die Werbebranche pilgert an die Côte d'Azur zu den Cannes Lions, um auf dem jährlichen Festival Spitzenkreationen der Werbe- und Kommunikationsbranche zu feiern. Das „Cannes Lions International Festival of Creativity", so der korrekte Titel, jährt sich in 2014 zum 61. Mal. In dieser Woche werden in insgesamt 17 Kategorien und weiteren Wettbewerben mehr als tausend Löwen in Gold, Silber und Bronze vergeben.

Die „Oscars der Werbebranche" sind ein Klassiker: seit Jahrzehnten sind die Cannes Lions nicht nur für das Fachpublikum von Kreativen, Werbetreibenden, Kommunikationsprofis und Mediaagenturen ein „must attend" Event. Die „Lions" sind auch einem breiten Publikum durch die sogenannte „Cannes Rolle" bekannt: einer Zusammenstellung zahlreicher preisgekrönter Werbespots, die in Kinos, auf Veranstaltungen und im TV gezeigt werden. Hier begeistern Ideen, Kreativität und vor allem der Unterhaltungsfaktor von Bewegtbild-Werbung.

Die Cannes Rolle steht symbolisch für das, was klassisch unter „Werbung" verstanden wurde oder auch immer noch wird: bunte Bilder, viele Emotionen, Geschichten, Reize und Affekte. Dies wurde klassisch verarbeitet zu unterhaltsamen Werbefilmchen, die nicht selten junge, schöne, gut gelaunte Menschen mit dem jeweils beworbenen Produkt zeigten. Die hier verantwortlichen Werber wurden vor allem für ihr Kreativpotenzial prämiert. Werber, die mit ihrer Erscheinung auf den abendlichen Partys feiernd und Rosé trinkend gerne das klassische Werber-Klischeebild pflegten. Ähnlich dem, was Frédéric Beigbeder in seinem 2001 erschienenen Roman „39,90" beschreibt.

Doch seit Jüngstem bekommt eben diese Community Gesellschaft. Gesellschaft, die wenig zu den tradierten Grüppchen der Cannes-Besucher zu passen scheint: die Nerds. Die Techies. Die IT-versierten Tüftler des digitalen Zeitalters. Die wenig mit bunten, bewegten Bildern, Bacardi-Werbung und lila Kühen zu tun haben. Dafür aber umso mehr mit binären Codes, Algorithmen, Ad Technology, automatisierten Echtzeitprozessen und künstlicher Intelligenz. Also mit Begriffen und Themen, die dem klassischen Cannes Lions Besucher selbst mit sehr viel Rosé schwer verdaulich sind.

Diese Bewegung kommentierte Zach Rodgers auf AdExchanger.com bereits 2012 treffend: „In Shift, Ad Technologists Flock to Cannes". 2014 strömen bereits deutlich mehr dieser „Technologen" nach Cannes. Sie sind auf Partys, Yachts, Beach Clubs und abends an der berühmten Martinez-Hotelbar. Sie organisieren Events, Cocktail-Hours und sprechen im Rahmen des Festival-Programms. Sie mischen sich fröhlich mit den traditionellen Fachbesuchern der Cannes Lions und VIP-Gästen wie Bono, Gisele Bündchen, Sir Martin Sorrell und Sarah Jessica Parker.

Was ist passiert? Die neuen Besucher reflektieren nicht weniger als den Umbruch der gesamten Werbewirtschaft. Oder genauer: den Einzug von Technologie in die Werbebranche. Noch genauer: nicht nur den Einzug, sondern die zunehmende Dominanz von Technologie überall dort, wo Werbung auf digitalen Plattformen erscheint. Dies hat seinen Ursprung im Internet, wo das Thema „Werbung" von Anfang an erstmals gleichzeitig mit „Digital" in Verbindung stand. Und erwächst heute weiter auf allen Werbe-Plattformen, die den Schritt vom analogen in das digitale Zeitalter vollziehen: Fernsehen, Radio, digitale Print-Produkte, Outdoor- und mobile Werbung.

Dies wird zunehmend auch in den Awards reflektiert: Zu den klassischen Kategorien der Cannes Lions wie Print („Press"), Bewegtbild („Film") oder Plakat („Outdoor") haben sich in den letzten Jahren weitere Kategorien gesellt, die sich auf die Themen Effizienz („Creative Effectivness"), innovativer Einsatz von Technologien („Innovation") oder auch die Einbindung des Konsumentenverhaltens konzentrieren („Branded Content & Entertainment" oder ganz neu die Kategorie „Product Design"). Und auch die „Cyber Lions" laden die Bewerber dieses Jahr zu weiteren, neuen Unterkategorien ein.

Technologie zieht ein, und damit auch das Thema Daten und „Big Data". Der vielzitierte Begriff zeigt am Beispiel der Werbewirtschaft sehr konkret, was Big Data bedeuten kann: die Nutzung, das heißt die Aufbereitung, Analyse und Klassifizierung von Daten, die - anonymisiert! - aus dem Konsumentenverhalten gewonnen werden. Dies findet Ausdruck in Bereichen der Werbeindustrie, die sich neben der klassischen, Marken-fokussierten Werbung zunehmend etablieren: Performance Marketing, Targeting und Retargeting, Realtime Bidding usw. Die Kunst der Daten drängt sich mehr und mehr in die Kunst der verträumten Bilder.

Dabei schließen sich Technik und Kreativität nicht aus, ganz im Gegenteil: kreative Werbeformen und Storytelling sind unverändert der Schlüssel für eine effektive Zielgruppenansprache. Daten helfen aber, gerade diese Effektivität durch intelligente Analyse- und Planungssysteme maßgeblich zu steigern. Die Diskussion, wie genau diese Analyse- und Planungssysteme genutzt werden können, steht jedoch erst am Anfang.

Die Cannes Lions werden in 2014 eine wichtige Plattform bieten, die Diskussion weiterzuführen: sei es im Rahmen des Konferenz-Programms, bei den Jury-Sitzungen rund um die Awards, auf den zahlreichen Events und Empfängen oder am Abend an der Hotelbar. Hier wird auch genügend Zeit sein, sich über Thesen zu streiten: Die zunehmende Dominanz von Big Data ist unaufhaltbar. Die possierlichen goldenen, silbernen und bronzenen Löwen werden immer digitaler. Der Cannes Lion wird immer mehr zum Data Lion. Die Bewegung, der „shift", fängt gerade erst an.

Auf eine spannende Woche in Cannes!

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