Ein Raunen ging durch die Arbeitswelt, als am vergangenen Mittwoch der Koalitionsvertrag für das mögliche schwarz-rote Regierungsbündnis präsentiert wurde: Sollte der Mindestlohn auch für Praktikanten kommen? Im fertigen Vertrag waren sie im Gegensatz zu früheren Versionen nicht mehr explizit vom Mindestlohn ausgenommen. Der entsprechende Satz lautet nun schlicht: „Durch die Einführung eines allgemein verbindlichen Mindestlohns soll ein angemessener Mindestschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sichergestellt werden.“
Welche Folgen hat das?
Die SPD-Zentrale interpretiert den Passus im Koalitionsvertrag auf Anfrage der Huffington Post wie folgt: Als „Arbeitnehmer“ gälten jene, die bereits ein abgeschlossenes Hochschulstudium haben. Sie würden nach Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde bekommen. Pflichtpraktika in Schule und Studium seien nicht davon betroffen.
Unklar bleibt, ob freiwillige Praktika während des Studiums im Generellen und Pflichtpraktika während des Masterstudiums mindestlohnpflichtig werden. Das müsse der Gesetzgeber im einzelnen klären, hieß es dazu aus dem Willy-Brandt-Haus. Aus CDU-Kreisen war zu hören, dass all jene Praktika vom Mindestlohn ausgenommen werden sollen, die während der Ausbildungszeit stattfinden: also Schul- und Studienpraktika im Ganzen.
Der Dissens scheint nur minimal. Und doch betrifft er mehrere hunderttausend Praktikumsverhältnisse pro Jahr. Das gilt vor allem für die Kreativwirtschaft. Dort helfen Studenten in freiwilligen Praktika mit, Festivals zu organisieren, Bands zu managen oder Theater am Laufen zu halten. Auch im sozialen Bereich, im Journalismus oder bei Parteien, Ministerien und NGOs gibt es viele freiwillige Praktikanten.
Das Sozialministerium zahlte Praktikanten keinen Cent
Meist bekommen sie nur einen symbolischen Lohn. Im politischen Berlin werden die meisten Praktikanten gar nicht bezahlt. Für Aufsehen sorgte vor fünf Jahren der damalige Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD): Er setzte sich offen für eine „angemessene Vergütung“ von Praktikanten ein, sein Ministerium aber zahlte Praktikanten gleichzeitig keinen Cent – nur einige Gutscheine gab es für die 40-Stunden-Wochen im Ministerium.
Wirtschaftsvertreter sehen die Pläne kritisch – vor allem, so lange unklar bleibt, ob freiwillige Praktika auf Mindestlohn-Niveau bezahlt werden müssen oder nicht. „Ein Mindestlohn würde die Bereitschaft der Wirtschaft schmälern, Praktikumsplätze anzubieten. Für Arbeitgeber ist die Anstellung von Praktikanten immer auch eine Investition in deren Beschäftigungsfähigkeit, die mit Organisations- und Betreuungsaufwand verbunden ist“, sagte die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände der Tageszeitung „Die Welt“.
BITKOM: Mindestlohn "Bärendienst" für Praktikanten
„Für Praktikanten ist es am wichtigsten, dass sie im Unternehmen etwas lernen können und damit ihre persönlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche berufliche Weiterentwicklung verbessern. Das setzt voraus, dass sie nicht als billige Arbeitskraft missbraucht werden. Praktikanten brauchen vor allem eine aufmerksame Betreuung, darüber hinaus aber natürlich auch eine angemessene Bezahlung“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM).
"Wenn man nun für Praktikanten einen Mindestlohn fordert, wie er zum Beispiel auch für Gesellen mit abgeschlossener Berufsausbildung gilt, erweist man den Praktikanten einen Bärendienst. Die Einführung eines Mindestlohns in dieser Höhe führt de facto zur Abschaffung von Praktikanten.“
Fest steht: Falls der Praktikums-Mindestlohn für Uni-Absolventen kommt, wäre das Phänomen der „Generation Praktikum“ am Ende. Ursprünglich stammt der Begriff aus einem Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Autor Matthias Stolz schrieb damals über die 66 Praktikumswochen, die er nach dem Studium absolviert habe, und darüber, dass es vielen seiner Bekannten genauso ginge.
Der Text erschien im März 2005, eine Zeit, in der 5,2 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos waren. Stolz traf einen Nerv: Durch die Arbeitsmarktreformen der 90er Jahre sowie die Agenda 2010 wurden der Kündigungsschutz aufgeweicht und die sozialen Sicherungssysteme umgestaltet. Gleichzeitig verlor das alte bundesdeutsche „Normalarbeitsverhältnis“ an Wert, nachdem Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt und nach Tarif bezahlt werden.
Einige Jahre schien es wirklich so, als fänden Berufseinsteiger in den einschlägigen Berufsbörsen nur Praktikumsangebote. Bewerbungstrainer machten gute Umsätze, und an den Universitäten wurde den Studenten nun selbst von eher linken Professoren empfohlen, „etwas für den Lebenslauf zu tun“.
Die von Matthias Stolz beschriebenen „Kettepraktika“ waren immer ein Minderheitenphänomen. Dass aber viele hunderttausend Hochschulabsolventen nach ihrem Studium in prekären Arbeitsverhältnissen gelebt haben, lässt sich durch Zahlen belegen.
Eine Studie des Bundessozialministerium kam noch im Jahr 2008 zu dem Ergebnis, dass immerhin 26 Prozent aller Studenten zwischen 25 und 29 Jahren nach ihrer Hochschulausbildung mindestens ein Praktikum absolviert hatten. Unter den Nicht-Akademikern ist die Quote sogar noch höher gewesen.
Seitdem hat sich viel verändert. Die Arbeitslosenquote hat sich fast halbiert, und kaum sonst wo in Europa ist die Jugend- und Akademiker-Arbeitslosigkeit so gering wie in Deutschland. Zusätzlich könnten junge Arbeitnehmer schon bald vom demografischen Wandel profitieren: In einigen Jahren gehen die ersten Babyboomer-Jahrgänge in Rente. Ab dann werden dem Arbeitsmarkt jährlich mehrere hunderttausend Arbeitskräfte fehlen.
Zurück zu den Wurzeln?
Dass Praktika nach Studienende bei 8,50 Euro die Stunde mit etwa 1350 Euro vergütet werden sollen, wäre da nur die Vergesetzlichung einer Entwicklung, die derzeit in vielen Branchen schon stattfindet, abgesehen vielleicht von der Kreativwirtschaft: Die besten Köpfe der jungen Generation werden nicht mehr durch langfristige, unbezahlte Praktika gequält, sondern von den Arbeitsgebern umworben. Längst spricht schon niemand mehr von der Generation Praktikum, sondern von der „Generation Y“.
Betriebe wären mit 1350-Euro-Praktika sicher sehr sparsam. Sie träten an die Stelle von Probezeiten oder würden nur noch besonders begabten Absolventen angeboten. So könnte der Mindestlohn das Ende einer Entwicklung sein: Das Praktikum würde dann bald schon wieder das werden, was es Jahrzehnte lang zuvor auch schon war: ein Teil der Ausbildung. Hinführung auf den Job. Reinschnuppern in neue Berufe. Aber nicht mehr ein Hamsterrennen zwischen Dutzenden mit Aussicht auf ganz wenige Jobs.
Einerseits. Andererseits könnte ein Mindestlohn für Praktikanten dafür sorgen, dass die Zahl der Praktika drastisch sinkt. Einunverbindliches Kennenlernen von Berufen könnte dadurch schwieriger werden. Gerade weniger entschlossene Studenten und Absolventen könnten unter einer sinkenden Zahl der Angebote leiden.
Der Vorstoß eines Mindestlohns auch für Praktikanten kann daher durchaus auch negative Folgen haben.
Welche Folgen hat das?
Die SPD-Zentrale interpretiert den Passus im Koalitionsvertrag auf Anfrage der Huffington Post wie folgt: Als „Arbeitnehmer“ gälten jene, die bereits ein abgeschlossenes Hochschulstudium haben. Sie würden nach Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde bekommen. Pflichtpraktika in Schule und Studium seien nicht davon betroffen.
Unklar bleibt, ob freiwillige Praktika während des Studiums im Generellen und Pflichtpraktika während des Masterstudiums mindestlohnpflichtig werden. Das müsse der Gesetzgeber im einzelnen klären, hieß es dazu aus dem Willy-Brandt-Haus. Aus CDU-Kreisen war zu hören, dass all jene Praktika vom Mindestlohn ausgenommen werden sollen, die während der Ausbildungszeit stattfinden: also Schul- und Studienpraktika im Ganzen.
Der Dissens scheint nur minimal. Und doch betrifft er mehrere hunderttausend Praktikumsverhältnisse pro Jahr. Das gilt vor allem für die Kreativwirtschaft. Dort helfen Studenten in freiwilligen Praktika mit, Festivals zu organisieren, Bands zu managen oder Theater am Laufen zu halten. Auch im sozialen Bereich, im Journalismus oder bei Parteien, Ministerien und NGOs gibt es viele freiwillige Praktikanten.
Das Sozialministerium zahlte Praktikanten keinen Cent
Meist bekommen sie nur einen symbolischen Lohn. Im politischen Berlin werden die meisten Praktikanten gar nicht bezahlt. Für Aufsehen sorgte vor fünf Jahren der damalige Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD): Er setzte sich offen für eine „angemessene Vergütung“ von Praktikanten ein, sein Ministerium aber zahlte Praktikanten gleichzeitig keinen Cent – nur einige Gutscheine gab es für die 40-Stunden-Wochen im Ministerium.
Wirtschaftsvertreter sehen die Pläne kritisch – vor allem, so lange unklar bleibt, ob freiwillige Praktika auf Mindestlohn-Niveau bezahlt werden müssen oder nicht. „Ein Mindestlohn würde die Bereitschaft der Wirtschaft schmälern, Praktikumsplätze anzubieten. Für Arbeitgeber ist die Anstellung von Praktikanten immer auch eine Investition in deren Beschäftigungsfähigkeit, die mit Organisations- und Betreuungsaufwand verbunden ist“, sagte die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände der Tageszeitung „Die Welt“.
BITKOM: Mindestlohn "Bärendienst" für Praktikanten
„Für Praktikanten ist es am wichtigsten, dass sie im Unternehmen etwas lernen können und damit ihre persönlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche berufliche Weiterentwicklung verbessern. Das setzt voraus, dass sie nicht als billige Arbeitskraft missbraucht werden. Praktikanten brauchen vor allem eine aufmerksame Betreuung, darüber hinaus aber natürlich auch eine angemessene Bezahlung“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM).
"Wenn man nun für Praktikanten einen Mindestlohn fordert, wie er zum Beispiel auch für Gesellen mit abgeschlossener Berufsausbildung gilt, erweist man den Praktikanten einen Bärendienst. Die Einführung eines Mindestlohns in dieser Höhe führt de facto zur Abschaffung von Praktikanten.“
Fest steht: Falls der Praktikums-Mindestlohn für Uni-Absolventen kommt, wäre das Phänomen der „Generation Praktikum“ am Ende. Ursprünglich stammt der Begriff aus einem Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Autor Matthias Stolz schrieb damals über die 66 Praktikumswochen, die er nach dem Studium absolviert habe, und darüber, dass es vielen seiner Bekannten genauso ginge.
Der Text erschien im März 2005, eine Zeit, in der 5,2 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos waren. Stolz traf einen Nerv: Durch die Arbeitsmarktreformen der 90er Jahre sowie die Agenda 2010 wurden der Kündigungsschutz aufgeweicht und die sozialen Sicherungssysteme umgestaltet. Gleichzeitig verlor das alte bundesdeutsche „Normalarbeitsverhältnis“ an Wert, nachdem Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt und nach Tarif bezahlt werden.
Einige Jahre schien es wirklich so, als fänden Berufseinsteiger in den einschlägigen Berufsbörsen nur Praktikumsangebote. Bewerbungstrainer machten gute Umsätze, und an den Universitäten wurde den Studenten nun selbst von eher linken Professoren empfohlen, „etwas für den Lebenslauf zu tun“.
Die von Matthias Stolz beschriebenen „Kettepraktika“ waren immer ein Minderheitenphänomen. Dass aber viele hunderttausend Hochschulabsolventen nach ihrem Studium in prekären Arbeitsverhältnissen gelebt haben, lässt sich durch Zahlen belegen.
Eine Studie des Bundessozialministerium kam noch im Jahr 2008 zu dem Ergebnis, dass immerhin 26 Prozent aller Studenten zwischen 25 und 29 Jahren nach ihrer Hochschulausbildung mindestens ein Praktikum absolviert hatten. Unter den Nicht-Akademikern ist die Quote sogar noch höher gewesen.
Seitdem hat sich viel verändert. Die Arbeitslosenquote hat sich fast halbiert, und kaum sonst wo in Europa ist die Jugend- und Akademiker-Arbeitslosigkeit so gering wie in Deutschland. Zusätzlich könnten junge Arbeitnehmer schon bald vom demografischen Wandel profitieren: In einigen Jahren gehen die ersten Babyboomer-Jahrgänge in Rente. Ab dann werden dem Arbeitsmarkt jährlich mehrere hunderttausend Arbeitskräfte fehlen.
Zurück zu den Wurzeln?
Dass Praktika nach Studienende bei 8,50 Euro die Stunde mit etwa 1350 Euro vergütet werden sollen, wäre da nur die Vergesetzlichung einer Entwicklung, die derzeit in vielen Branchen schon stattfindet, abgesehen vielleicht von der Kreativwirtschaft: Die besten Köpfe der jungen Generation werden nicht mehr durch langfristige, unbezahlte Praktika gequält, sondern von den Arbeitsgebern umworben. Längst spricht schon niemand mehr von der Generation Praktikum, sondern von der „Generation Y“.
Betriebe wären mit 1350-Euro-Praktika sicher sehr sparsam. Sie träten an die Stelle von Probezeiten oder würden nur noch besonders begabten Absolventen angeboten. So könnte der Mindestlohn das Ende einer Entwicklung sein: Das Praktikum würde dann bald schon wieder das werden, was es Jahrzehnte lang zuvor auch schon war: ein Teil der Ausbildung. Hinführung auf den Job. Reinschnuppern in neue Berufe. Aber nicht mehr ein Hamsterrennen zwischen Dutzenden mit Aussicht auf ganz wenige Jobs.
Einerseits. Andererseits könnte ein Mindestlohn für Praktikanten dafür sorgen, dass die Zahl der Praktika drastisch sinkt. Einunverbindliches Kennenlernen von Berufen könnte dadurch schwieriger werden. Gerade weniger entschlossene Studenten und Absolventen könnten unter einer sinkenden Zahl der Angebote leiden.
Der Vorstoß eines Mindestlohns auch für Praktikanten kann daher durchaus auch negative Folgen haben.