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Wohin leitet uns der Lei(d)zins?

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Wir bezahlen ja auch für Brötchen und Wurst, warum also nicht für's Sparbuch? Vielleicht gibt es dann von der EZB demnächst auch eine Verlautbarung zum angemessenen Trinkgeld für den Geldverzehr? Noch besser wäre eine Richtlinie, die muss ja bekanntlich verbindlich in nationales Recht überführt werden. Ich freue mich schon jetzt auf den dazugehörigen Paragraphen im Kreditwesengesetz.

Welche Funktion soll der Leitzins denn nun erfüllen? Eigentlich ist er ein geldpolitisches Instrument, das eine unabhängige Zentralbank einsetzt, um den Marktteilnehmern auf Finanzmärkten ein Signal zu geben, die Kreditvergabe anzuregen oder zu verteuern, je nach Inflationsgefahr. Dabei galt bei allen erfolgreichen Zentralbanken immer der Grundsatz, den Markt als Indikator zu "leiten" und dem Marktzins sowie dem Kreditmarkt eine Orientierung zu geben, bei welchem Zinsniveau die Geldwertstabilität als ungefährdet angesehen wird.

Es war und ist nicht Aufgabe einer Zentralbank administrativ einen marktfremden Zins festzulegen, der möglicherweise vorübergehend die Geldwertstabilität nicht gefährdet, aber statt dessen mittel- bis langfristig Marktungleichgewichte und Fehlverhalten von Individuen verursacht, die dann durch keine Art der Wirtschaftspolitik zu korrigieren ist.

EZB sollte Tradition fortsetzen

Aus diesem Grund hat man die Zentralbank als von der Politik unabhängige, eigenständig handelnde und entscheidende Institution geschaffen. Die EZB sollte genau diese Tradition fortsetzen. Der negative Leitzins ist leider nach der Entscheidung, Staatspapiere anzukaufen ein weiteres Zeichen dafür, dass die letzte Bastion wirtschaftspolitischer Vernunft nun gestürmt ist. Das ist für Europa keine gute Nachricht und der kurzfristig ausgelöste Börsenboom sollte alle Vernunftbegabten eher nachdenklich stimmen als optimistisch.

Der negative Leitzins ist also nichts weiter als ein weiteres Glied in der Kette desaströser wirtschaftspolitischer Sünden des Staates. Ein selbst verursachtes wirtschaftspolitisches Loch wird zugegraben, indem ein noch größeres als Baustelle geschaffen wird, denn für die Überlassung von Ressourcen noch etwas zu bezahlen ist wider jeder Vernunft.

Man kann an beliebiger Stelle mit der Analyse beginnen, aber der politische Wille auch kleineren Einkommen den Zugang zu Immobilieneigentum zu verschaffen ist schon Jahrzehnte alt und daher ein guter Anfang, um die Langzeitwirkung von wirtschaftspolitischen Fehltritten zu analysieren. Während zunächst mit (vom Staat verbilligten) Krediten und dem gesetzlichen Verzicht auf Kreditwürdigkeitsprüfungen ein Immobilienboom und in der Folge ein Bauboom auf "Pump" erzeugt werden kann und sich zunächst alle über die steigende Quote von Wohneigentum und steigende Immobilenpreise freuen, sind die dafür gefeierten Politiker schon nicht mehr da, wenn die Schulden nicht bezahlt werden können und der Immobilienmarkt zusammenbricht oder sie haben längst andere Schuldige ausfindig gemacht.

Ein weiterer Weg, um alle glücklich zu machen: Geldanlage in Staatspapieren

Ein weiterer eleganter Weg, um alle glücklich zu machen, ist die Geldanlage in Staatspapieren. Wenn die Einnahmen mit der Ausgabensucht nicht mehr Schritt halten können und die direkte Kreditaufnahme bei der Zentralbank (die dafür wertloses Geld produzieren könnte) nicht erlaubt ist, dann begibt man Staatstitel. Damit der brave, sparwillige Bürger auch wie beim Fleischer oder Bäcker zugreift und nicht zu den Aktien der privaten Konkurrenz, muss man natürlich die "Ware" anpreisen. Das geht einfach: "Wertpapiere des Staates sind sicher, denn der Staat kann ja nicht Pleite gehen".

Damit das auch alle glauben oder zumindest glaubwürdig vertreten, werden einige Taschenspielertricks ausgegraben. Staatspapiere (der OECD-Länder) müssen bei Banken nicht mit Eigenkapital unterlegt sein. Das befördert bei den Banken komischerweise den Glauben an diese Papiere ungemein. Die Papiere werden von der Legislative als "mündelsicher" erklärt, womit sie als Geldanlagen aller Art, die besonders vertrauenswürdig sein müssen, geeignet sind. Mündel sind in diesem Fall auch die Einzahler in den Sozialversicherungen, den privaten und betrieblichen Rentenversicherungen, sonstigen Deckungsstöcken von Versicherungen und Fondsanleger, die Risiken vermeiden wollen.

Auf diese Art sichert sich ein hoch verschuldeter oder sogar schon überschuldeter Staat die Refinanzierung über die Herausgabe immer neuer Staatspapiere. Da man ja gesetzlich den Staat schon für allzeit zahlungsfähig erklärt hat, sieht nun auch keine Ratingagentur einen Grund, das Spiel nicht mitzuspielen. Warum sollte man sich denn mit den Staaten anlegen und denen die wahre Kreditwürdigkeit bescheinigen, wo doch bekannt ist, dass die darauf ziemlich zickig reagieren und immer gleich nach anderen Schuldigen suchen oder sich ihr eigenes Rating-Spielzeug zulegen wollen. Wenn diese Finanzierungsmethoden zu versiegen drohen, dann schafft man die vermögensgedeckten Wertpapiere (Asset Backed Securities).

Damit kann man den Mittelzufluss noch einmal verlängern, wenn auch hier keine oder nur wenig Eigenkapital aufgebracht werden muss und das Rating hoch genug ist, um die Zinslast zu minimieren. Der Staat hat dies bei seinen Regulierungsbemühungen nicht übersehen, er wurde deutlich von Fachleuten auf die Kartenhauskonstruktionen hingewiesen. Ein regulierender Eingriff vor der Finanzkrise hätte aber die Problematik der Staatsschulden bzw. der Staatsfinanzierung viel früher offenbar werden lassen.

Nun ist also die EZB als letztes Heilmittel dran. Investitionen werden damit sicher nicht befördert. Rational handelnde Investoren haben dieses Prinzip längst verstanden und kalkulieren es in geschäftpolitische Entscheidungen ein.
Für diese Art des internationalen Rollenspiels benötigt man dann auch keine gut ausgebildeten oder sogar noch persönlich haftenden Bankiers mehr.

Dazu benötigt man nur noch möglichst unqualifizierte Verkäufer, die von der eigentlichen Sache nichts verstehen und keine Fragen stellen. Die nennen wir dann Investmentbanker (wobei diese Gleichsetzung in der Öffentlichkeit eine Beleidigung für alle gut ausgebildeten und seriösen Bankleute im Investmentbanking darstellt).

Wenn man als Eltern (hier als Staat) die Kinder losschickt, um Alkohol zu kaufen, statt sie in die Schule zu bringen oder zum Schlafen zu legen, nur damit man sich selbst anschließend bequem betrinken kann, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Kinder unterwegs sich kräftig besaufen und das Geld durchbringen. Die Beispiele in der jüngsten Vergangenheit sind zahlreich: Die Spekulationsblase Ende der neunziger Jahre an der Deutschen Börse, um die maroden Staatsunternehmen mit dem Kleinsparergeld zu sanieren, wurde durch den Staat massiv befeuert und soll als letztes Kettenglied für die Beispiele an wirtschaftspolitischer Fehlleistung erwähnt sein.

"Neue Aktienkultur"

Kurzfristig wurde die "neue Aktienkultur" der Deutschen gepriesen, bei der alle wie die Lemminge ihr Glück mit Aktien versuchten. Der Flurschaden der Staatssanierung ist noch immer hoch. Der Schock des Absturzes hat den deutschen Anleger so verschreckt, dass in den letzten Jahren, in denen sich die Börsenkurse der wichtigsten Unternehmen in Deutschland nahezu verdoppelten, die Zahl der deutschen Aktionäre um mehr als eine halbe Million zurückging. Die logische Konsequenz ist dann, dass die Vermögen der Aktieninhaber gegenüber den Vermögen mit verzinslichen Anlagen extrem steigen.

Diese Entwicklung war angesichts der künstlich nach unten gedrückten Zinsen vorhersehbar. Aktien sind eine Realinvestition, man investiert in Sachanlagen, die von der Geldentwertung nicht betroffen sind. Das Geldvermögen in Zinsanlagen sinkt aber nicht nur relativ zu den Investitionen in Sachvermögen, es verliert sogar real an Wert, wenn der Nominalzins unterhalb der Inflationsrate liegt. Bei einem negativen Nominalzins führt selbst eine Inflationsrate 0,0% zu einem Kaufkraftverlust des Geldes.

Das kann natürlich auch Absicht sein, denn langfristig begünstigt dies den Schuldner und über einen entsprechend langen Zeitraum könnte man durch den Abbau des (realen) Vermögens der Sparer den Staat auch wieder sanieren. Es ist dazu aber noch wichtig nicht zu vergessen, dass wie oben erwähnt auch die Rücklagen sämtlicher Kapital bildender Versicherungen und der Sozialversicherungsträger vorwiegend in verzinslichen Schuldtiteln ihr Kapital angelegt haben und fehlende Zinseinkünfte natürlich dann deren Zahlungsfähigkeit negativ beeinflussen.

Es scheint ein guter Rat in allen Zeiten zu sein, immer das Gegenteil dessen zu tun, was der Staat einem empfiehlt. Ich leide also derzeit eher unter der EZB als dass ich mich von ihr geleitet fühle. Ich vertraue darauf, dass nach dem Leiden die Vernunft in der Regel wieder zurückkehrt. Die Rekordzeit für das Durchhaltevermögen wirtschaftspolitischer Dummheiten hierzulande steht bisher bei 40 Jahren - so alt ist die DDR immerhin geworden.

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