Die Ruhrfestspiele ehren William Shakespeare zu seinem 450. Geburtstag, indem sie mit dem Alterswerk des großen Dramatikers eröffneten, mit dem "Sturm". Das Programm des Recklinghäuser Festivals ist reich und verspricht einige Spitzen, z.B. die Uraufführung von Juli Zehs "Mutti", eine Komödie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mittelpunkt.
RECKLINGHAUSEN. Die Ruhrfestspiele eröffneten ihr künstlerisches Programm am Samstagabend mit Shakespeares "Sturm" nach dem traditionellen Volksfest in Recklinghausen am 1. Mai. Der "Tag der Arbeit" und "Volksfest" sind Stichworte, die auf die spezifische Tradition der Ruhrfestspiele hinweisen. 1947, nach dem Krieg auf Initiative von Bergleuten und Künstlern ins Leben gerufen, stehen die Ruhrfestspiele, wie z. B. das renommierte Festival d'Avignon in Frankreich, in der Tradition der Arbeiterbewegung. Einer der Träger der Festspiele ist der Deutsche Gewerkschaftsbund. Dieser Tradition verpflichtet, entwirft Intendant Frank Hoffmann das Programm, das er in diesem Jahr unter das optimistische Motto "INSELREICHE. Land in Sicht - Entdeckungen" stellt. Die Ruhrfestspiele bieten Kunst für alle, Höhepunkte inclusive. Isabelle Huppert, eine der bedeutendsten zeitgenössischen Schauspielerinnen der Welt, tritt z. B. (wieder) in Recklinghausen auf, sie spielt in Marivaux' "Falschen Vertraulichkeiten" ("Les fausses confidences"), niemand geringeres als Luc Bondy inszeniert.
Warnung vor Despoten
Zum Auftakt arbeiten die Ruhrfestspiele mit dem Münchner Residenztheater zusammen - trotz aller Kritik immer noch eine namhafte Bühne. Bekannter als der isländische (Inselreiche!) Regisseur Gísli Örn Garðarsson ist der Hauptdarsteller: Manfred Zapatka. Wegen seiner Film- und Fernsehrollen (Tatort) ist der Mime mit der unverwechselbaren Physiognomie und Stimme nicht nur Bühnenfreunden bekannt - er soll Zuschauer locken, die sonst selten oder gar nicht ins Theater gehen: Das alte und immer wieder bewährte Rezept, Startheater. Zapatka konnte dann auch tatsächlich den Löwenanteil des einhelligen, langandauernden Beifalls im Großen Festspielhaus auf Recklinghausens Grünem Hügel verbuchen.
Regisseur Garðarsson gab sich als junger Wilder: Er dekonstruierte nach allen Regeln der Kunst Shakespeares „Sturm". Übrig blieb ein Alptraum über Diktatur, Gewalt, Folter und Tod im 21. Jahrhundert. Börkur Jónsson hatte sich zu seinem Bühnenbild, einem System aus Käfigen, von Fotos und Fernsehfilmen über Guantanamo und Abu Ghraib anregen lassen. Die meisten Regisseure deuten Prospero, die Hauptfigur, als guten Menschen. Als junger Herzog von seinem Bruder verjagt, ist er im Exil gereift, und um das Unrecht wieder gut zu machen, ergreift Prospero umsichtig die Initiative. Anders Garðarssons Interpretation. Prospero ist im Exil verbittert. Er wirft sich zum Despoten auf, entwickelt sich zum sadistischen Kerkermeister. Alle Mitmenschen verachtet er als unter ihm stehend: So ermächtigt er sich selbst - ein absoluter Herrscher. In Zeiten der Demokratie unzeitgemäß? Keineswegs: Offenbar fürchtet der junge isländische Regisseur wie viele die Gefahr einer Wiederkehr des Totalitarismus angesichts des Anspruchs von Geheimdiensten, alles und alle zu überwachen. Garðarssons scharfsinnige Inszenierung mischt Attacken auf die Terroristenhysterie mit Szenen, die manchmal an Goya, dann wieder an bluttriefende Videospiele erinnern. Das spielfreudige, hochkarätige Ensemble trägt kraftvoll die ästhetisch anspruchsvolle und politisch brisante Aufführung, die allerdings auch anfechtbar ist: Sie ist allzu unübersichtlich. Wer Shakespeares „Sturm" nicht gut kennt, geht leicht in der windgepeitschten Inszenierung unter.
Die Ruhrfestspiele dauern noch bis zum 15. Juni.
Ulrich Fischer
Kartentelefon: 02361 9218 0 - Internet: www.ruhrfestspiele.de
Aufführungen am 5., 6. und 7. Mai - Spieldauer 75 Min. - "Der Sturm" ist eine Koproduktion mit dem Residenztheater München
RECKLINGHAUSEN. Die Ruhrfestspiele eröffneten ihr künstlerisches Programm am Samstagabend mit Shakespeares "Sturm" nach dem traditionellen Volksfest in Recklinghausen am 1. Mai. Der "Tag der Arbeit" und "Volksfest" sind Stichworte, die auf die spezifische Tradition der Ruhrfestspiele hinweisen. 1947, nach dem Krieg auf Initiative von Bergleuten und Künstlern ins Leben gerufen, stehen die Ruhrfestspiele, wie z. B. das renommierte Festival d'Avignon in Frankreich, in der Tradition der Arbeiterbewegung. Einer der Träger der Festspiele ist der Deutsche Gewerkschaftsbund. Dieser Tradition verpflichtet, entwirft Intendant Frank Hoffmann das Programm, das er in diesem Jahr unter das optimistische Motto "INSELREICHE. Land in Sicht - Entdeckungen" stellt. Die Ruhrfestspiele bieten Kunst für alle, Höhepunkte inclusive. Isabelle Huppert, eine der bedeutendsten zeitgenössischen Schauspielerinnen der Welt, tritt z. B. (wieder) in Recklinghausen auf, sie spielt in Marivaux' "Falschen Vertraulichkeiten" ("Les fausses confidences"), niemand geringeres als Luc Bondy inszeniert.
Warnung vor Despoten
Zum Auftakt arbeiten die Ruhrfestspiele mit dem Münchner Residenztheater zusammen - trotz aller Kritik immer noch eine namhafte Bühne. Bekannter als der isländische (Inselreiche!) Regisseur Gísli Örn Garðarsson ist der Hauptdarsteller: Manfred Zapatka. Wegen seiner Film- und Fernsehrollen (Tatort) ist der Mime mit der unverwechselbaren Physiognomie und Stimme nicht nur Bühnenfreunden bekannt - er soll Zuschauer locken, die sonst selten oder gar nicht ins Theater gehen: Das alte und immer wieder bewährte Rezept, Startheater. Zapatka konnte dann auch tatsächlich den Löwenanteil des einhelligen, langandauernden Beifalls im Großen Festspielhaus auf Recklinghausens Grünem Hügel verbuchen.
Regisseur Garðarsson gab sich als junger Wilder: Er dekonstruierte nach allen Regeln der Kunst Shakespeares „Sturm". Übrig blieb ein Alptraum über Diktatur, Gewalt, Folter und Tod im 21. Jahrhundert. Börkur Jónsson hatte sich zu seinem Bühnenbild, einem System aus Käfigen, von Fotos und Fernsehfilmen über Guantanamo und Abu Ghraib anregen lassen. Die meisten Regisseure deuten Prospero, die Hauptfigur, als guten Menschen. Als junger Herzog von seinem Bruder verjagt, ist er im Exil gereift, und um das Unrecht wieder gut zu machen, ergreift Prospero umsichtig die Initiative. Anders Garðarssons Interpretation. Prospero ist im Exil verbittert. Er wirft sich zum Despoten auf, entwickelt sich zum sadistischen Kerkermeister. Alle Mitmenschen verachtet er als unter ihm stehend: So ermächtigt er sich selbst - ein absoluter Herrscher. In Zeiten der Demokratie unzeitgemäß? Keineswegs: Offenbar fürchtet der junge isländische Regisseur wie viele die Gefahr einer Wiederkehr des Totalitarismus angesichts des Anspruchs von Geheimdiensten, alles und alle zu überwachen. Garðarssons scharfsinnige Inszenierung mischt Attacken auf die Terroristenhysterie mit Szenen, die manchmal an Goya, dann wieder an bluttriefende Videospiele erinnern. Das spielfreudige, hochkarätige Ensemble trägt kraftvoll die ästhetisch anspruchsvolle und politisch brisante Aufführung, die allerdings auch anfechtbar ist: Sie ist allzu unübersichtlich. Wer Shakespeares „Sturm" nicht gut kennt, geht leicht in der windgepeitschten Inszenierung unter.
Die Ruhrfestspiele dauern noch bis zum 15. Juni.
Ulrich Fischer
Kartentelefon: 02361 9218 0 - Internet: www.ruhrfestspiele.de
Aufführungen am 5., 6. und 7. Mai - Spieldauer 75 Min. - "Der Sturm" ist eine Koproduktion mit dem Residenztheater München