Als Gott in berechtigtem Zorn Adam und Eva aus dem Paradies verbannte, weil sie trotz seines Verbots Früchte vom Baum der Erkenntnis gepflückt hatten, gab ER ihnen bekanntlich eine gewichtige Erblast mit auf den Weg. Der Sündenfall, die Stunde null in der Menschheitsgeschichte, belastete fortan ihre Nachkommen. Seitdem lauert das Böse als beispielsweise Unterdrückung, Vergewaltigung, Ausrottung im beispielhaft Guten wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Menschen unterjochen oder ermorden einander, wann und wo auch immer auf der Welt.
Edward O. Wilson, der Begründer der Soziobiologie, der ein ganzes Forscherleben lang die biologischen Grundlagen sozialen Verhaltens untersuchte, erachtet als Wissenschaftler naturgemäß weder Gottes Gnade noch Teufels Werk, weder Gottes Zorn noch Satans Verführung als wesentlich für Gut und Böse.
„Ist der Mensch von Natur aus gut, wird aber von der Macht des Bösen verdorben? Oder ist er vielmehr von Natur aus verschlagen und nur durch die Macht des Guten zu retten?" Beides treffe zu, meint er, was zu dem Schluss führe, dass es dabei auch bleiben wird, jetzt und immerdar, falls es nicht gelinge, die Gene zu verändern. „Denn das menschliche Dilemma wurde in unserer Evolution festgelegt und ist mithin ein unveränderlicher Teil der menschlichen Natur."
Versklavung von Besiegten war selbstverständlich für die Siegreichen ungeschriebenes Recht der Herrschenden, bis dereinst in der amerikanischen Verfassung Menschenrechte festgeschrieben wurden. Ägypter hielten sich Sklaven. Perser hielten sich Sklaven. Griechen hielten sich Sklaven. Wikinger hielten sich Sklaven. Auf den Äckern. In den Häusern. In den Betten. In den Schlachten. Sklavenhaltung war im Römischen Reich sogar eine tragende Säule des Systems, ohne die das Imperium lange vor seinem tatsächlichen Untergang untergegangen wäre. Ein Drittel der Bevölkerung, erbeutet in siegreichen Feldzügen, diente als Sklaven den anderen zwei Dritteln.
Die ausgebeutete Minderheit wagte zwar gelegentlich einen Aufstand gegen die Mehrheit, etwa den historischen unter der Führung von Spartacus, verfilmt von Hollywood rund zweitausend Jahre später. Aber die Aufrührer bezahlten ihren Freiheitsdrang mit dem Leben und wurden entlang der römischen Heerstraßen zur Abschreckung ans Kreuz genagelt.
Vae victis, wehe den Besiegten: Seit den Kriegen der Antike war ihnen bewusst, was bei einer Niederlage drohte - die Sklaverei. Sie hätten umgekehrt im Fall eines Sieges ihre Feinde nicht anders behandelt. In Friedenszeiten erfüllten Begehrlichkeiten und Bedürfnisse der Sklavenhalter für Haus, Hof oder Harem die Sklavenhändler. Ihr Geschäft blühte. Kein anderes Gewerbe garantierte so große Gewinne bei so geringem Risiko wie das mit der Ware Mensch. Über die damaligen Umsätze und Gewinnspannen existieren logischerweise keine Aufzeichnungen. Daran hat sich nichts geändert.
Denn auch in der Neuzeit gibt es nur Vermutungen über Renditen im Dunkelfeld Menschenhandel. Aber die Bewertungen auf der Grundlage von kriminalpolizeilichen Statistiken aus Staaten oder Regionen, die hauptsächlich den Markt beliefern, und Preisen, die dort erzielt werden, wo die Nachfrage am größten ist, sind wohl nahe an der Realität.
Im »Global Report 2012« des in Wien unter dem Dach der UNO ansässigen United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) wird von einem »exorbitanten« Geschäftsmodell gesprochen. Die Polizeibehörden der an der UNODC-Studie beteiligten 137 Länder schätzen, dass auf dem Wachstumsmarkt »Mensch« weltweit pro Jahr ungefähr 30 Milliarden Dollar verdient werden. Darin enthalten sind Gewinne aus freiwilliger wie aus erzwungener Prostitution, Erlöse aus freiwilligen wie aus erzwungenen Arbeitsleistungen, aus Kinder- wie aus Organhandel, aus dem Handel mit Haussklaven und Scheinehen wie aus dem Geschäftszweig Menschenschmuggel der Schleuserbanden.
Die Schätzungen für die Gesamterträge aller kriminellen Organisationen in der Freihandelszone Europa liegen bei rund fünfzehn Milliarden Dollar jährlich, und damit nur noch knapp hinter den Gewinnen aus dem Drogenhandel. Die Ursachen für diesen Boom sind leicht auszumachen und auch einfach erklärbar: An Rauschgift oder gefälschten Arzneimitteln verdienen zwar in der Kette vom Produzenten zum Endabnehmer verschiedene kriminelle Zwischenhändler, aber irgendwann ist die Ware konsumiert, also verbraucht.
Die Ware Mensch dagegen garantiert Mehrwert. Frauen zum Beispiel lassen sich immer wieder von einem Land ins nächste verschieben, von einem Bordell ins nächste. Menschenhandel ist deshalb für das internationale Verbrecherkartell der Geschäftszweig mit dem größten Potenzial, bei garantiert zweistelligen Renditen.
Investitionskosten beim Erwerb der Frauen, Mädchen, Männer, Kinder in deren Heimatländern sind »Peanuts«, um einen legendären Begriff aus der legalen Wirtschaft zu bemühen, die Risiken wegen stetiger Nachfrage in Europa gering.
Nachdem ab 2009 Länder wie Spanien, Griechenland, Portugal aufgrund der selbst verschuldeten Rezession als Abnehmer für billige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft oder auf dem Bau ausfielen, erschlossen sich die Händler der organisierten Kriminalität (OK) neue Märkte in der Türkei, in der Schweiz, in Skandinavien.
In diesem Dunkelfeld sind die Grenzen zwischen Schmuggel und Handel, Flucht und Schleusung fließend, aber es geht dabei gar nicht immer um Mehrwert. Sondern um mehr. Taliban und Al Qaida setzen für Selbstmordattentate Kinder ein, die sie deren Familien abgekauft haben, somalische Terroristen betreiben Sklavenhandel, um dadurch Geld für Waffen und Trainingslager zu verdienen. Als ich davon in einer UN-Studie las, hielt ich es für ein nicht beweisbares, aber erschreckend möglich klingendes Gerücht. Doch wie ich später bei Gesprächen mit Ermittlern erfuhr, entspricht es der Wahrheit.
Die Erkenntnisse basieren auf Ermittlungen, Opferaussagen, Festnahmen, Anklagen, Prozessen in den Ländern, in denen die Ware Menschen erbeutet, und in den Ländern, in denen ausgebeutet wird. Diese Informationen, die UNODC sammelt, erlauben Hochrechnungen, die den tatsächlichen Verhältnissen ziemlich nahe kommen dürften.
Demzufolge sind zwischen 55 und 60 Prozent aller Opfer des weltweiten Menschenhandels noch nicht volljährige Mädchen und junge Frauen. Durchschnittliche Einnahmen der »Besitzer« pro Körper: 65 000 Dollar. »Durchschnittlich« ist ein Annäherungswert. In der Statistik schlagen sich sowohl die regionalen Preise für sexuelle Dienstleitungen in den Ursprungsländern nieder als auch die horrenden Gewinne, die in den Bordellen Westeuropas mit Prostitution erwirtschaftet werden.
Es folgen in der Auflistung mit einem Anteil von 27 Prozent Kinder unter 14 Jahren, ausgebeutet als Arbeitssklaven in Asien oder Afrika oder verkauft an Pädokriminelle, die aus entwickelten Ländern in Entwicklungsländer Südostasiens oder Osteuropas kommen und sich dort bedienen.
Sexual Exploitation, sexuelle Ausbeutung, ist also ein sicherer Wachstumsmarkt. Jedes Jahr wachsen ihm neue Kunden nach, jedes Jahr erlangt neue Ware Marktreife. Darf man darüber so, in der Sprache eines Finanzanalysten, eines Aktienhändlers, eines Bankberaters, schreiben?
Vermutlich nicht. Doch Zynismus schützt mitunter vor Verzweiflung. 58 Prozent des im Menschenhandel erzielten Gewinns werden auf dem internationalen Sexmarkt erzielt. Dahinter rangieren Erlöse aus Zwangsarbeit, wozu auch wie Sklaven gehaltene Dienstboten in besseren Kreisen gerechnet werden, mit 36 Prozent - seit der weltweiten Finanzkrise ab 2007/2008 hat sich deren Zahl verdoppelt -, dann folgen fürs Betteln und für Diebstahl von ihren Sippschaften an Banden verkaufte Kinder mit einem Marktanteil von 1,5 Prozent.
Am Ende der Skala steht ein Fragezeichen, denn genaue Zahlen über den ebenfalls zum globalen kriminellen Dunkelfeld zählenden Organhandel gibt es nicht. Dass hier ein Schwarzmarkt existiert, bezweifelt zwar niemand, aber die Käufer schweigen. Und die Verkäufer, entlohnt für ihre Niere, reden selbst dann nicht, wenn die Spätfolgen der meist verpfuschten Operationen am eigenen Leib ihr Leben zerstören, das sie mit dem Verkauf eines ihrer Organe eigentlich verbessern wollten.
Einzelne Fälle, in denen gezielt Menschen gejagt, getötet und dann je nach bestellter Einzelware ausgeschlachtet wurden, sind laut UNODC aus sechzehn Ländern bekannt. Jagdreviere der Kriminellen sollen seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien auch Flüchtlingslager in Jordanien, Ägypten, der Türkei sein. Aber ich war lange skeptisch, ob sich solche Horrorszenarien durch seriöse Recherchen würden belegen lassen.
Bis ich eines Schlechteren belehrt wurde.
„Wie ermittelt man eigentlich Gewinne im Menschenhandel?", fragte ich einen Polizeioffizier in England. Die Lieferanten veröffentlichen ja keine Bilanzen oder geben gar Steuererklärungen ab. Auf den Fakten, die wir kennen, sagte er, basieren unsere Hochrechnungen.
Eine junge Frau aus beispielsweise Moldawien, Weißrussland, Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine, wobei diese Länder nicht eben zufällig von ihm genannt wurden, wird auf einem illegalen Sklavenmarkt in zum Beispiel Athen, Istanbul, Moskau für 1500 Euro versteigert. Auch diese Städte zählt er nicht von ungefähr, sondern von daher auf. Je attraktiver ein Mädchen ist, desto teurer lässt es sich dann - und jeder Zwischenhändler verdient beim Weiterverkauf - an Bordelle in Europa oder in den Golfstaaten, in Japan oder in Südkorea vermarkten.
Er wusste von Fällen, in denen Prostituierte, freiwillig tätig oder zu sexuellen Dienstleistungen durch Gewalt gezwungen, bis zu 150 000 oder sogar 200 000 Euro erwirtschaftet haben. Abzüglich laufender Kosten wie Logis, Essen, Trinken, Drogen, Kleidung, Transport verbleiben ihren Besitzern 60 bis 70 Prozent der Summen steuerfrei, den Frauen jene oben bereits erwähnten Peanuts oder am Ende nichts. Sie sind nicht nur körperlich beschädigt, sondern unheilbar seelisch gebrochen, wenn sie mal »entsorgt« werden.
Die Mädchen werden rücksichtslos ausgebeutet, und falls sie sich wehren, falls sie mehr als die lächerlichen paar Euro verlangen, die ihnen vielleicht bleiben, so lange missbraucht, bis sie jeglichen Widerstand aufgeben. Sobald sie nach Einschätzung ihrer Besitzer im Bordellbetrieb verbraucht sind, per Flatrate nicht mehr an die Männer zu bringen, werden sie entweder auf die unterste Stufe des Sexmarktes abgeschoben, die Straßenstriche in einem der Länder, aus denen sie einst voller Hoffnung auf ein besseres Leben aufgebrochen sind. Oder aber in die Freiheit entlassen, die sie sich selten leisten können, weil sie von dem, was sie angeschafft haben, kaum etwas abbekommen haben.
Laufend »Frischfleisch« zu liefern für Bordelle und Laufhäuser in Europa, ist allenfalls ein logistisches Problem der Menschenhändler. Sie rekrutieren ihren Nachschub, der unerschöpflich scheint, direkt in den armen Ländern Osteuropas oder Afrikas oder Asiens. Die Frauen sind rechtlos, schutzlos, hoffnungslos ihren Besitzern ausgeliefert. Ihre Ausbeutung ist ein sicheres Investment.
Kein Wunder also, dass der Menschenhandel dominiert wird von international tätigen, straff organisierten kriminellen Vereinigungen. Der Spur des Geldes bis zur Quelle zu folgen ist die einzige Chance der Ermittler, die eigentlichen Drahtzieher zu erwischen. Das wissen die Kriminellen auch. Und unternehmen deshalb alles, diese Spur zu löschen, indem sie versuchen, ihre illegalen Einkünfte weißzuwaschen in der legalen Wirtschaft.
Bis zum 19. Jahrhundert wurde Menschenhandel international betrieben von so genannten Guten, die selbstverständlich geachtet waren. In der Jetztzeit wird der Handel beherrscht von so bezeichneten Bösen, die selbstverständlich geächtet werden. Millionen Menschen befinden sich zwar in einem sklavenähnlichen Arbeitsverhältnis, aber viele sind dazu gezwungen durch die hoffnungslose wirtschaftliche Situation und die Lebensumstände in ihrer Heimat und lassen sich deshalb freiwillig ausbeuten. Sie werden dabei von ihren »Arbeitgebern« nicht als Menschen be-, sondern gehandelt.
Dieser Beitrag basiert auf dem Buch Sklavenmarkt Europa. Das Milliardengeschäft mir der Ware Mensch
Michael Jürgs
Sklavenmarkt Europa. Das Milliardengeschäft mir der Ware Mensch
352 Seiten, 19,99 €
C. Bertelsmann Verlag, München
Edward O. Wilson, der Begründer der Soziobiologie, der ein ganzes Forscherleben lang die biologischen Grundlagen sozialen Verhaltens untersuchte, erachtet als Wissenschaftler naturgemäß weder Gottes Gnade noch Teufels Werk, weder Gottes Zorn noch Satans Verführung als wesentlich für Gut und Böse.
„Ist der Mensch von Natur aus gut, wird aber von der Macht des Bösen verdorben? Oder ist er vielmehr von Natur aus verschlagen und nur durch die Macht des Guten zu retten?" Beides treffe zu, meint er, was zu dem Schluss führe, dass es dabei auch bleiben wird, jetzt und immerdar, falls es nicht gelinge, die Gene zu verändern. „Denn das menschliche Dilemma wurde in unserer Evolution festgelegt und ist mithin ein unveränderlicher Teil der menschlichen Natur."
Versklavung von Besiegten war selbstverständlich für die Siegreichen ungeschriebenes Recht der Herrschenden, bis dereinst in der amerikanischen Verfassung Menschenrechte festgeschrieben wurden. Ägypter hielten sich Sklaven. Perser hielten sich Sklaven. Griechen hielten sich Sklaven. Wikinger hielten sich Sklaven. Auf den Äckern. In den Häusern. In den Betten. In den Schlachten. Sklavenhaltung war im Römischen Reich sogar eine tragende Säule des Systems, ohne die das Imperium lange vor seinem tatsächlichen Untergang untergegangen wäre. Ein Drittel der Bevölkerung, erbeutet in siegreichen Feldzügen, diente als Sklaven den anderen zwei Dritteln.
Die ausgebeutete Minderheit wagte zwar gelegentlich einen Aufstand gegen die Mehrheit, etwa den historischen unter der Führung von Spartacus, verfilmt von Hollywood rund zweitausend Jahre später. Aber die Aufrührer bezahlten ihren Freiheitsdrang mit dem Leben und wurden entlang der römischen Heerstraßen zur Abschreckung ans Kreuz genagelt.
Vae victis, wehe den Besiegten: Seit den Kriegen der Antike war ihnen bewusst, was bei einer Niederlage drohte - die Sklaverei. Sie hätten umgekehrt im Fall eines Sieges ihre Feinde nicht anders behandelt. In Friedenszeiten erfüllten Begehrlichkeiten und Bedürfnisse der Sklavenhalter für Haus, Hof oder Harem die Sklavenhändler. Ihr Geschäft blühte. Kein anderes Gewerbe garantierte so große Gewinne bei so geringem Risiko wie das mit der Ware Mensch. Über die damaligen Umsätze und Gewinnspannen existieren logischerweise keine Aufzeichnungen. Daran hat sich nichts geändert.
Denn auch in der Neuzeit gibt es nur Vermutungen über Renditen im Dunkelfeld Menschenhandel. Aber die Bewertungen auf der Grundlage von kriminalpolizeilichen Statistiken aus Staaten oder Regionen, die hauptsächlich den Markt beliefern, und Preisen, die dort erzielt werden, wo die Nachfrage am größten ist, sind wohl nahe an der Realität.
Im »Global Report 2012« des in Wien unter dem Dach der UNO ansässigen United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) wird von einem »exorbitanten« Geschäftsmodell gesprochen. Die Polizeibehörden der an der UNODC-Studie beteiligten 137 Länder schätzen, dass auf dem Wachstumsmarkt »Mensch« weltweit pro Jahr ungefähr 30 Milliarden Dollar verdient werden. Darin enthalten sind Gewinne aus freiwilliger wie aus erzwungener Prostitution, Erlöse aus freiwilligen wie aus erzwungenen Arbeitsleistungen, aus Kinder- wie aus Organhandel, aus dem Handel mit Haussklaven und Scheinehen wie aus dem Geschäftszweig Menschenschmuggel der Schleuserbanden.
Die Schätzungen für die Gesamterträge aller kriminellen Organisationen in der Freihandelszone Europa liegen bei rund fünfzehn Milliarden Dollar jährlich, und damit nur noch knapp hinter den Gewinnen aus dem Drogenhandel. Die Ursachen für diesen Boom sind leicht auszumachen und auch einfach erklärbar: An Rauschgift oder gefälschten Arzneimitteln verdienen zwar in der Kette vom Produzenten zum Endabnehmer verschiedene kriminelle Zwischenhändler, aber irgendwann ist die Ware konsumiert, also verbraucht.
Die Ware Mensch dagegen garantiert Mehrwert. Frauen zum Beispiel lassen sich immer wieder von einem Land ins nächste verschieben, von einem Bordell ins nächste. Menschenhandel ist deshalb für das internationale Verbrecherkartell der Geschäftszweig mit dem größten Potenzial, bei garantiert zweistelligen Renditen.
Investitionskosten beim Erwerb der Frauen, Mädchen, Männer, Kinder in deren Heimatländern sind »Peanuts«, um einen legendären Begriff aus der legalen Wirtschaft zu bemühen, die Risiken wegen stetiger Nachfrage in Europa gering.
Nachdem ab 2009 Länder wie Spanien, Griechenland, Portugal aufgrund der selbst verschuldeten Rezession als Abnehmer für billige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft oder auf dem Bau ausfielen, erschlossen sich die Händler der organisierten Kriminalität (OK) neue Märkte in der Türkei, in der Schweiz, in Skandinavien.
In diesem Dunkelfeld sind die Grenzen zwischen Schmuggel und Handel, Flucht und Schleusung fließend, aber es geht dabei gar nicht immer um Mehrwert. Sondern um mehr. Taliban und Al Qaida setzen für Selbstmordattentate Kinder ein, die sie deren Familien abgekauft haben, somalische Terroristen betreiben Sklavenhandel, um dadurch Geld für Waffen und Trainingslager zu verdienen. Als ich davon in einer UN-Studie las, hielt ich es für ein nicht beweisbares, aber erschreckend möglich klingendes Gerücht. Doch wie ich später bei Gesprächen mit Ermittlern erfuhr, entspricht es der Wahrheit.
Die Erkenntnisse basieren auf Ermittlungen, Opferaussagen, Festnahmen, Anklagen, Prozessen in den Ländern, in denen die Ware Menschen erbeutet, und in den Ländern, in denen ausgebeutet wird. Diese Informationen, die UNODC sammelt, erlauben Hochrechnungen, die den tatsächlichen Verhältnissen ziemlich nahe kommen dürften.
Demzufolge sind zwischen 55 und 60 Prozent aller Opfer des weltweiten Menschenhandels noch nicht volljährige Mädchen und junge Frauen. Durchschnittliche Einnahmen der »Besitzer« pro Körper: 65 000 Dollar. »Durchschnittlich« ist ein Annäherungswert. In der Statistik schlagen sich sowohl die regionalen Preise für sexuelle Dienstleitungen in den Ursprungsländern nieder als auch die horrenden Gewinne, die in den Bordellen Westeuropas mit Prostitution erwirtschaftet werden.
Es folgen in der Auflistung mit einem Anteil von 27 Prozent Kinder unter 14 Jahren, ausgebeutet als Arbeitssklaven in Asien oder Afrika oder verkauft an Pädokriminelle, die aus entwickelten Ländern in Entwicklungsländer Südostasiens oder Osteuropas kommen und sich dort bedienen.
Sexual Exploitation, sexuelle Ausbeutung, ist also ein sicherer Wachstumsmarkt. Jedes Jahr wachsen ihm neue Kunden nach, jedes Jahr erlangt neue Ware Marktreife. Darf man darüber so, in der Sprache eines Finanzanalysten, eines Aktienhändlers, eines Bankberaters, schreiben?
Vermutlich nicht. Doch Zynismus schützt mitunter vor Verzweiflung. 58 Prozent des im Menschenhandel erzielten Gewinns werden auf dem internationalen Sexmarkt erzielt. Dahinter rangieren Erlöse aus Zwangsarbeit, wozu auch wie Sklaven gehaltene Dienstboten in besseren Kreisen gerechnet werden, mit 36 Prozent - seit der weltweiten Finanzkrise ab 2007/2008 hat sich deren Zahl verdoppelt -, dann folgen fürs Betteln und für Diebstahl von ihren Sippschaften an Banden verkaufte Kinder mit einem Marktanteil von 1,5 Prozent.
Am Ende der Skala steht ein Fragezeichen, denn genaue Zahlen über den ebenfalls zum globalen kriminellen Dunkelfeld zählenden Organhandel gibt es nicht. Dass hier ein Schwarzmarkt existiert, bezweifelt zwar niemand, aber die Käufer schweigen. Und die Verkäufer, entlohnt für ihre Niere, reden selbst dann nicht, wenn die Spätfolgen der meist verpfuschten Operationen am eigenen Leib ihr Leben zerstören, das sie mit dem Verkauf eines ihrer Organe eigentlich verbessern wollten.
Einzelne Fälle, in denen gezielt Menschen gejagt, getötet und dann je nach bestellter Einzelware ausgeschlachtet wurden, sind laut UNODC aus sechzehn Ländern bekannt. Jagdreviere der Kriminellen sollen seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien auch Flüchtlingslager in Jordanien, Ägypten, der Türkei sein. Aber ich war lange skeptisch, ob sich solche Horrorszenarien durch seriöse Recherchen würden belegen lassen.
Bis ich eines Schlechteren belehrt wurde.
„Wie ermittelt man eigentlich Gewinne im Menschenhandel?", fragte ich einen Polizeioffizier in England. Die Lieferanten veröffentlichen ja keine Bilanzen oder geben gar Steuererklärungen ab. Auf den Fakten, die wir kennen, sagte er, basieren unsere Hochrechnungen.
Eine junge Frau aus beispielsweise Moldawien, Weißrussland, Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine, wobei diese Länder nicht eben zufällig von ihm genannt wurden, wird auf einem illegalen Sklavenmarkt in zum Beispiel Athen, Istanbul, Moskau für 1500 Euro versteigert. Auch diese Städte zählt er nicht von ungefähr, sondern von daher auf. Je attraktiver ein Mädchen ist, desto teurer lässt es sich dann - und jeder Zwischenhändler verdient beim Weiterverkauf - an Bordelle in Europa oder in den Golfstaaten, in Japan oder in Südkorea vermarkten.
Er wusste von Fällen, in denen Prostituierte, freiwillig tätig oder zu sexuellen Dienstleistungen durch Gewalt gezwungen, bis zu 150 000 oder sogar 200 000 Euro erwirtschaftet haben. Abzüglich laufender Kosten wie Logis, Essen, Trinken, Drogen, Kleidung, Transport verbleiben ihren Besitzern 60 bis 70 Prozent der Summen steuerfrei, den Frauen jene oben bereits erwähnten Peanuts oder am Ende nichts. Sie sind nicht nur körperlich beschädigt, sondern unheilbar seelisch gebrochen, wenn sie mal »entsorgt« werden.
Die Mädchen werden rücksichtslos ausgebeutet, und falls sie sich wehren, falls sie mehr als die lächerlichen paar Euro verlangen, die ihnen vielleicht bleiben, so lange missbraucht, bis sie jeglichen Widerstand aufgeben. Sobald sie nach Einschätzung ihrer Besitzer im Bordellbetrieb verbraucht sind, per Flatrate nicht mehr an die Männer zu bringen, werden sie entweder auf die unterste Stufe des Sexmarktes abgeschoben, die Straßenstriche in einem der Länder, aus denen sie einst voller Hoffnung auf ein besseres Leben aufgebrochen sind. Oder aber in die Freiheit entlassen, die sie sich selten leisten können, weil sie von dem, was sie angeschafft haben, kaum etwas abbekommen haben.
Laufend »Frischfleisch« zu liefern für Bordelle und Laufhäuser in Europa, ist allenfalls ein logistisches Problem der Menschenhändler. Sie rekrutieren ihren Nachschub, der unerschöpflich scheint, direkt in den armen Ländern Osteuropas oder Afrikas oder Asiens. Die Frauen sind rechtlos, schutzlos, hoffnungslos ihren Besitzern ausgeliefert. Ihre Ausbeutung ist ein sicheres Investment.
Kein Wunder also, dass der Menschenhandel dominiert wird von international tätigen, straff organisierten kriminellen Vereinigungen. Der Spur des Geldes bis zur Quelle zu folgen ist die einzige Chance der Ermittler, die eigentlichen Drahtzieher zu erwischen. Das wissen die Kriminellen auch. Und unternehmen deshalb alles, diese Spur zu löschen, indem sie versuchen, ihre illegalen Einkünfte weißzuwaschen in der legalen Wirtschaft.
Bis zum 19. Jahrhundert wurde Menschenhandel international betrieben von so genannten Guten, die selbstverständlich geachtet waren. In der Jetztzeit wird der Handel beherrscht von so bezeichneten Bösen, die selbstverständlich geächtet werden. Millionen Menschen befinden sich zwar in einem sklavenähnlichen Arbeitsverhältnis, aber viele sind dazu gezwungen durch die hoffnungslose wirtschaftliche Situation und die Lebensumstände in ihrer Heimat und lassen sich deshalb freiwillig ausbeuten. Sie werden dabei von ihren »Arbeitgebern« nicht als Menschen be-, sondern gehandelt.
Dieser Beitrag basiert auf dem Buch Sklavenmarkt Europa. Das Milliardengeschäft mir der Ware Mensch
Michael Jürgs
Sklavenmarkt Europa. Das Milliardengeschäft mir der Ware Mensch
352 Seiten, 19,99 €
C. Bertelsmann Verlag, München
